Mittweida/Schneeberg, 29. Februar 2012 (ADN:). Das Überfall-Kommando stand morgens plötzlich vor der Tür und stellte den gesamten Dienstplan des Tages auf den Kopf. Das erklärte die Inhaberin eines kleinen privaten Hauskranken- und Pflegedienstes in dem sächsischen Geringswalde. Es sei wie im Kriminalfilm gewesen. Zwei Unterschiede gab es. Erstens: Es spielte sich tatsächlich ab. Zweitens: Die scharfen Waffen waren nicht Pistolen und Gewehre, sondern farbige Kugelschreiber, unzählige Fragebögen und Nerven aufreibende Verhöre. Die wenigen anwesenden Angestellten haben sich wie Verbrecher gefühlt. Auftraggeber des Einsatzes war die Allgemeine Ortskrankenkasse (AOK) Sachsen-Thüringen, Auftragnehmer der Medizinische Dienst der Krankenkassen (MDK). Der Trupp sollte die Pflegequalität prüfen und zog dazu alle Register denkbarer Repression. Die Leiterin sah sich nahe einer Herz-Attacke.
Das kleine Unternehmen ist nicht nur bodenständig und ortsansässig, sondern auch aufsässig – und zwar gegenüber der allmächtigen AOK Sachsen-Thüringen. Zu Recht, denn vor einiger Zeit hat es gegen die AOK einen Aufsehen erregenden juristischen Sieg vor einem Dresdner Gericht erstritten. Die AOK wollte dem Pflegedienst einen neuen diskriminierenden Rahmenvertrag aufnötigen. Dagegen wehrte sich der Pflegedienst, weil das Vertragsangebot den wirtschaftlichen Ruin bedeutet hätte. Um Druck auszuüben, scheute die AOK nicht einmal davor zurück, direkt auf die Patienten des Pflegedienstes zuzugehen und sie aufzufordern, sich eine andere Betreuungseinrichtung zu suchen. Der Konflikt für den Pflegedienst, der knapp ein Dutzend Mitarbeiterinnen zählt, war existenziell. Den Sieg Davids gegen Goliath besiegelte schließlich die Sozialgerichtsbarkeit, die den neuen AOK-Vertrag als verfassungswidrig klassifizierte. Er verletze die Pflegedienste in ihren elementaren Grundrechten. Das liegt dem Krankenkassen-Monopolisten bis heute schwer im Magen, denn seit mehreren Jahren dürfen jetzt alle anderen Pflegedienste in Sachsen den neuen AOK-Vertrag ignorieren.
Nun sollen die Querulanten in Geringswalde erneut mit Macht diszipliniert werden. Andere Geschütze werden aufgefahren, um die seinerzeitigen Auslöser des juristischen Befreiungsschlags gegen den Knebel-Kontrakt massiv zu diskreditieren und sogar zu kriminalisieren. Dazu wurde Mitte Januar dieses Jahres der MDK in Marsch gesetzt, um die Pflegequalität in Geringswalde zu kontrollieren. Der zentrale Begriff Pflegequalität ist bis heute ein Phantom,. weil letztlich keiner – weder Experte noch Laie – genau weiß, was hinter dieser elementar lebenswichtigen, stark ethisch belegten Kategorie steckt. Das bestätigt sogar eine umfangreiche aktuelle Studie, die im Auftrag der Pflegekassen selbst entstanden ist. Prof. Martina Hasseler aus Hamburg und Prof. Karin Wolf-Ostermann aus Berlin sind die renommierten Autorinnen. Eine Essenz ihrer umfangreichen wissenschaftlichen und seit 2010 vorliegenden Untersuchung ist, dass Pflegequalität nach den derzeitigen Kriterien nicht zu beurteilen ist. Das ist eine für die Krankenkassen niederschmetternde Erkenntnis, die sie gerne unter der Decke halten wollen. Um die finanziellen Folgen dessen zu vermeiden, bekämpfen sie deshalb ihre Vertragspartner im Pflegesektor um so verbissener und mit allen Mitteln – von raffinierter Kabale bis Brachialgewalt. Die Einschüchterungsstrategie funktioniert fast flächendeckend in Sachsen bis auf die tapfere Schar in Geringswalde, die sich nun erneut zum Gang vor die Sozialrichter gezwungen sieht. Inzwischen kann das „Fähnlein der sieben Aufrechten“ seine Hoffnung jedoch in recht frische Muster-Urteile der Landessozialgerichte Berlin-Brandenburg und Sachsen-Anhalt sowie des Sozialgerichts Münster setzen. ++ (zc/mgn/29.02.12 – 62)