Völkershausen/Rhön, 13. März 2014 (ADN). Stilles Gedenken schwebt am Donnerstag über dem Rhöndorf Völkershausen in Thüringen. Nur die Kirchenglocken brechen um 14.02 Uhr das Schweigen im frühlingshaften Sonnenschein und im kühlen Kirchenschiff probt Kantor Matthias Theuerkauf an der Orgel. Es ist genau 25 Jahre her, dass im Kalibergbau an der Werra durch einen von Menschenhand verursachten Gebirgsschlag ein Erdbeben in der Stärke von 5,8 auf der Richterskala ausgelöst wurde. Das Epizentrum lag genau unter dem Ortskern und der Kirche von Völkershausen, dessen Bausubstanz zu 80 Prozent und die Infrastruktur fast völlig zerstört wurden.
Die Erde bewegt sich im Übrigen noch immmer wie neue Gebäuderisse zeigen. Beispielsweise über dem Altar der neuen Kirche, deren Vorgängerin aufgrund ihres Ruinierungsgrades im Juni 1989 gesprengt wurde, sind feine Risslinien zu sehen. Nur äußerlich ist die damalige Katastrophe, die in ihrerer ersten Phase zusätzlich dem politisch-ideologischen Ost-West-Streit ausgesetzt war, beendet und bereinigt. Wenn auch das historische Völkershausen verschwunden ist und Neubauten das Dorf jetzt prägen, so schwelen die Wunden des Gebirgsschlags weiter. Die aktuelle Regionalpresse spiegelt es wider. Während in den Inneteilen ganzseitige Beiträge unter den Titeln „Offene Wunden eines Gebirgsschlags“ und „Als Völkershausen 123 Sekunden bebte“ erinnern und gedenken, prangt auf den Titelseiten Unbewältigtes und Unter-der-Decke-Gehaltenmes mit den Überschriften „Kali-Vertrag bleibt unter Verschluss“ und „Kali-Geheimvertrag: Landtag beruft Sondersitzung ein“. Das ist ein deutlicher Hinweis auf die Weiterexistenz gravierender Ungereimtheiten, die von den Mächtigen in Politik und Wirtschaft möglichst lange geheimgehalten werden sollen. Im Mittelpunkt stehen die im Jahr 1993 zwischen westdeutscher Kaliindustrie und Treuhandanstalt geschlossenen Klandestin-Kontrakte. Sie bergen massenweise sozialen Sprengstoff vielerlei Art, der nicht an die Öffentlichkeit dringen soll. Ganz besonders bemerkenswert ist dabei das Fortbestehen eines Kriegszustandes der 1942 – also mitten im Zweiten Weltkrieg – hergestellt wurde und bis auf Weiteres in der Zukunft aufrechterhalten werden soll. Dabei geht es um die Verschmutzung des ehemaligen deutsch-deutschen Grenzflusses Werra und dessen maximal zulässigen Wert von 2.500 Milliliter Chlorid pro Liter Werrawasser. Dieser Wert war im Jahr 1913 auf 842 fixiert und 1924 auf 1.781 wegen der steigenden Kalisalzproduktion erhöht worden. Dan kam der Krieg. Er lieferte der Kaliindustrie und ihren nationalsozialistischen Gönnern den Anlass, den Zulassungswert auf 2.500 kriegsbedingt hochzuschrauben. Erstaunlicherweise blieb es bis heute dabei, obwohl der Krieg nach allgemeiner Lesart schon fast 70 Jahre vorbei ist. Über Jahrzehnte stritten sich dann DDR und BRD darüber, wer wieviel Abwasser einleiten darf. Das eskalierte und trieb den Verschmutzungswert auf Spitzen bis zu 40.000.
Nun nach der sogenannten deutschen Wiedervereinigung, bei der die Kaliindustrie in Thüringen und Sachsen-Anhalt als Hauptkonkurrent auf dem Weltmarkt liqudiert wurde, beruft sich die hessische Kaliwirtschaft auf „altes Recht“ von 1942, um an dem aus Kriegsgründen auf irrwitzige 2.500 Milliliter Chlorid pro Liter Flusswasser zugelassenen Verschmutzungswert festzuhalten. Ein neuer heißer Natur-Mensch-Krieg droht. Allerdings mit mehr Gegnern und zusätzlichen Konfliktfeldern. ++ (nh/mgn/123.03.14 – 072)
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