Eisenach/Weimar, 26. Oktober 2013 (ADN). Das politische Thüringen feierte am Wochenende auf der Wartburg bei Eisenach eine 2ojährige Landesverfassung, die im Hinterstübchen entstand und der demokratische Grundelemente fehlen. Das geben die Väter dieses Dokuments auch unumwunden zu. Warum zusätzlich nach der deutschen Wiedervereinigung das am Schreibtisch zusammengezimmerte Land Thüringen sich zum Freistaat erklärt hat, darüber haben sie keinen Schimmer. Keiner weiß, warum Thüringen ein „Freistaat“ ist. Darüber rätselt bis zum heutigen Tag selbst „Verfassungsvater“ Frieder Lippmann von der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD), der den allerersten Entwurf der thüringischen Verfassung zu Ostern 1991 in eine alte DDR-Schreibmaschine vom Typ „Erika“ getippt hatte. Der ehemalige Bergmann und Ingenieur hatte als Vorlagen das Grundgesetz und die Landesverfassung von Rheinland-Pfalz neben sich gelegt und aus den beiden Papieren die Verfassung für Thüringen komponiert. Wie er weiter in einem Gespräch mit der in Weimar herausgegebenen „Thüringischen Landeszeitung“ (TLZ) zugibt, habe er sich damals von der Identitätssuche leiten lassen. „Sie müssen sich vorstellen: Aus dem einen Staat waren wir noch nicht ganz raus und in dem anderen noch nicht richtig drin“. Ein klares juristisches Konzept lag dem Schaffensprozess um die neue Verfassung, an dem nur ein kleiner, ausschließlich aus den etablierten Parteien rekrutierter Kreis von Landtagsabgeordneten beteiligt war, nicht zugrunde. Einziges Handlungsprinzip sei gewesen, dass die Landesverfassung mit dem Grundgesetz kompatibel sein musste. Die dennoch zusätzlich hineingeschriebenen Staatsziele wie Umweltschutz, Wohnung und Arbeit seien jedoch nicht als Recht einklagbar.
Solchen Zufälligkeiten entsprang auch die Bezeichnung Freistaat. Das ist nicht auf unserem Mist gewachsen, erklärt Lippmann einer Journalistin. Die Christlich Demokratische Union (CDU) habe diese Idee von einer Parteitagung aus dem ostthüringischen Wurzbach mitgebracht. Dort habe es wohl Beratungshilfe aus Sachsen oder gar Bayern gegeben. Für ihn sei die „ganze Freistaat-Kiste so lustig wie überflüssig.“
Die Erklärungsversuche der Landtagspräsidentin Birgit Diezel (CDU) sind nicht weniger hilflos. In einem TLZ-Interview sagte sie: „In der Gründungsphase der Weimarer Republik verwendeten etliche der thüringischen Kleinstaaten diese Bezeichnung, um zu betonen, dass nunmehr alle Staatsgewalt vom Volke ausging und die Menschen das Staatsoberhaupt selbst bestimmen konnten.“ Damit schoss Diezel nicht nur ein verbales, sondern auch ein inhaltliches Eigentor, denn seit dem Bestehen des Konstrukts Thüringen im Jahr 1990 ist dort bislang noch kein Oberhaupt des Landes vom Volk der Thüringer direkt gewählt worden. Es waren immer nur die im Landtag vertretenen Parteien. Nach Meinung von Diezel ist der Name Freistaat dem Stolz der Thüringer auf ihre reiche Kulturlandschaft im Herzen Deutschlands geschuldet. Da diese von den Landespolitikern seit Jahren jedoch systematisch demontiert wird, indem den Kulturstätten immer mehr Finanzmittel entzogen werden, dürfte demzufolge der „Freistaat“ bald als Hohlkörper umzubenennen sein. Es ist höchste Zeit, den juristischen Nebel in Thüringen zu lichten und rechtliche Klarheit Einzug halten zu lassen. Die konstitutionelle Blamage, die man sich am Gründungsort der Weimarer Republik und der Geburtsstätte der Weimarer Reichsverfassung leistet, sollte möglichst bald beendet sein. ++ (gr/mgn/26.10.13 – 293)