Berlin/Leipzig, 5. Mai 2013 (ADN). 550 Aktionen fanden in der Bundesrepublik Deutschland (BRD) zum Europäischen Protestag zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderung an diesem Wochenende statt. In 19 Großstädten wurde das Anliegen auf Großflächenplakaten von der Kampagne „Ich bin entscheidend“ öffentlichkeitswirksam präsentiert. Es wurde auf zahlreiche und schwerwiegende Defizite aufmerksam gemacht, denen geistig und körperlich behinderte Menschen gegenüberstehen. Viele können nicht selbst entscheiden, wo sie wohnen möchten oder wie sie ihre Freizeit gestalten. In diesem Jahr der Bundestagswahl stehen Fragen der politischen Teilhabe behinderter Menschen am demokratischen Mitwirken in der Gesellschaft im Vordergrund. Beispielsweise geht es um den barrierefreien Zugang zu Wahllokalen, praktikable Wahlunterlagen und Assistenz vor Ort beim Wahlvorgang selbst. Zu den Hauptkonfrontationen gehören Auseinandersetzungen mit Behörden, Verwaltungsinstanzen und Organisationsgremien. Während die Politik auf Bundes-, Landes- und Kommunalebene behauptet, Behinderte seien ausrechend und umfassend in die Gesellschaft einbezogen und vernetzt, stellen die Interessenverbände dieser Bevölkerungsgruppen erhebliche Verstöße gegen Rechtsgrundsätze und die Menschenrechte fest.
So hat der Allgemeine Behindertenverband in Deutschland „Für Selbstbestimmung und Würde“ (ABiD) festgestellt,dass der Nationale Aktionsplan der Bundesregierung und die darin enthaltenen Vorhaben zur Umsetzung des Übereinkommens der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (BRK) erhebliche Mängel und Strukturdefizite enthält. Bereits in den Vorbemerkungen einer 15seitigen Stellungnahme benennt der ABiD-Vorstand drei wesentliche Schwächen, die allein schon während des langwierigen BRK-Ratifizierungsprozesses zugelassen wurden. Als erster genereller Schwachpunkt wird die fehlerhafte Transskription des UNO-Dokuments kritisiert. So heißt es wörtlich: „Die von der Bundesregierung vorgelegte amtliche Übersetzung entspricht an mehreren Stellen nicht dem Geist der BRK. Dies wird u. a. an den Begriffen ‚Integration‘ an Stelle von ‚Inklusion‘, ‚Zugänglichkeit‘ an Stelle von ‚Barrierefreiheit‘ oder ‚Unabhängigkeit‘ an Stelle von ‚Selbstbestimmung‘ deutlich.“ Zudem weist der Verband darauf hin, dass Vorschläge und Forderungen aus der Behindertenbewegung und den Reihen des Bundestages nach Aktionsplänen wegen angeblich fehlender Notwendigkeit abgelehnt wurden. Außerdem hatte die Bundesregierung in einer „Denkschrift“ fixiert, dass durch das Inkrafttreten der BRK Recht und Praxis in der Behindertenpolitik nicht verändert werden müssten.
Wie sich diese eklatanten Defizite in politischen Grundsatzpapieren auf den praktischen Umgang mit den Betroffenen vor Ort auswirkt, zeigt das Beispiel Leipzig. An der Wahl des Oberbürgermeisters der Messestadt konnte nur ein Bruchteil der Behinderten teilnehmen, weil teilweise einfachste Voraussetzungen nicht gegeben waren. Die selbst behinderte Leipzigerin Edith Tust hat diese elementaren Verstöße mehrfach gegenüber der Stadtverwaltung Leipzig und dem Sächsischen Innenmisterium gebrandmarkt. Jedoch lässt die sächsische Politbürokratie die handfesten Vorwürfe der engagierten Behindertensportlerin ins Leere laufen, indem schwere Rechtsverstöße mit eleganter Verbalakrobatik ungeprüft Paragraphenwerken zugeordnet und so nicht nur ignoriert, sondern noch beschönigt werden. ++ (so/mgn/05.05.13 -119)