Magdeburg/München, 27. Februar 2012 (ADN). Joachim Gauck fährt ganz ungeniert auf dem Ticket eines ehemaligen DDR-Bürgerechtlers durch die politische Landschaft. Aber in der entstehenden Opposition unter dem Dach der Kirche ist er mir nie begegnet, erklärte der seit dem Jahr 1968 in der DDR-Opposition tätige Hans-Joachim Tschiche in der heutigen Montagausgabe der „Süddeutschen Zeitung“ (SZ). Gauck habe auch nicht zu den Gründungsvätern des „Neuen Forum“, der bekanntesten DDR-Oppositionsgruppe im Jahr 1989, gehört. Er sei erst später auf den fahrenden Zug aufgesprungen und eben nicht einer ihrer Lokomotivführer gewesen, wie gegenwärtig in der Öffentlichkeit lauthals verbreitet wird.

Der 82jährige Tschiche, früher Pfarrer und Leiter der Evangelischen Akademie Magdeburg,  verweist auf die Entstehungsgeschichte der Dissidentenbewegung in der DDR. In den 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts erreichte die westliche Friedenspolitik ihren Höhepunkt. Die Angst vor einem atomaren Inferno ging um. Beide deutsche Teilstaaten wären im Kriegsfall zur nuklear verseuchten Mondlandschaft geworden. „Im Schatten dieser Ereignisse wurde die Friedensdekade der DDR-Kirchen geboren“, so Tschiche. Unter dem Motto „Schwerter zu Pflugscharen“ haben sich nach seinen Worten in einzelnen Gemeinden Friedensgruppen gesammelt, zu denen auch Nichtchristen gehörten. „Die Mehrheit der evangelischen Kirchengemeinden aber verschloss sich dieser Arbeit. Die Öffnung riskierten nur einzelne Pfarrer und Kirchengemeinden – vor allem in den großen Städten“, schildert der Magdeburger.  Die Kirchenoberen versuchten diese aufmüpfigen Gäste zu domestizieren mit der Behauptung, man sei zwar für alle, aber nicht für alles da.  Tschiche zitiert einen Bischof: Wir haben zwar eine Position, aber wir sind keine Opposition.

Nach Meinung von Tschiche haben die Spitzen der Kirche gebremst, während die Aufmüpfigen drängten. Die Stasi habe diese alternative Gruppe auf eine Zahl zwischen 3.000 und 4.000 Menschen geschätzt. Aus ihnen formierte sich das Netzwerk „Frieden konkret“, aus dem dann der Kreis der Bürgerrechtler kam und der die Demokratisierung des sozialistischen Staates anstrebte.

Gauck sei nie dadurch aufgefallen, gedrängt zu haben. Er sei ihm erst im März 1990 in der Volkskammer zum ersten Mal begegnet und als gepflegter Herr mit elegantem Anzug, sonorer Stimme und selbstbewusstem Auftreten aufgefallen. Nach wenigen Worten  habe sich Gauck ihm gegenüber als Mann konservativ-bürgerlicher Gesinnung geoutet. Zwei fremde Welten seien aufeinander geprallt. Viele meiner Freunde aus der Opposition wollten die DDR reformieren und nicht im Westen ankommen, erklärt Tschiche. Das sei 1990 vorbei gewesen. „Wir waren die Türöffner, andere aber haben Politik gemacht.“ so Tschiche. „Linkes Denken war Gauck immer schon suspekt, die DDR hasste er“. ++ (zc/mgn/27.02.12 – 60)

Werbung