Archive für Beiträge mit Schlagwort: Einschaltquoten

Berlin, 20. Oktober 2014 (ADN). „Das Parlament soll die Regierung kontrollieren. Dazu müsste es sich auch mal gegen Regierungsvorschläge durchsetzen. Tut es aber nicht, denn die Karrieren der Abgeordneten hängen oft von denen auf der Regierungsbank ab.“ Das erklärte der bekannte Buchautor Roger Willemsen, der ein Jahr lang die Vorgänge im Deutschen Bundestag verfolgt und anhand seiner Beobachtungen das Buch „Das Hohe Haus“ verfasst hat, am Montag der „Berliner Zeitung“ in einem Interview. Der Fraktionszwang müsse abgeschafft werden. Die Rhethorik sei von Sprechblasen zu befreien, damit erkennbar wird, dass man ein Gegenüber hat.  Wenn sich nichts ändere, werde das Parlament weiter an Aufmerksamkeit verlieren. „Die Parlamentsdebatten erleben einen dramatischen Einschaltquoten-Niedergang. Und wie sollte es auch anders sein ? Eine Stunde lang breitet die Regierung ihre Floskeln aus, selbstzufrieden und in endlosen Wiederholungen, und dann dürfen die anderen für ein paar Minuten opponieren. Eine Farce“, schlussfolgert Willemsen.

Scharfe Kritik äußerte der Buchautor und Publizist auch an der „Befragung der Bundesregierung“. Der stelle sich oft niemand von der Bundesregierung, sondern Staatssekretäre lesen Antworten auf schriftlich eingereichte Fragen vor. Im englischen Unterhaus werde das völlig anders gehandhabt. Dort stelle man sich ohne Vorbereitung. 

Würde Willemsen die Debattierkultur in der verblichenen DDR kennen, müsste er beklemmende Parallelen wahrnehmen. Häufig wurden  bei Veranstaltungen der Freien Deutschen Jugend (FDJ) oder der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) auf Zettelchen geschriebene Fragen im Publikum verteilt, um die Diskussionsfreudigkeit zu erhöhen. Bundeskanzlerin Angela Merkel als ehemaliger FDJ-Funktionärin dürfte diese Praxis geläufig sein. Eventuell hält sie es auch heute noch für ein probates Mittel, um das von Willemsen als Festival der rhethorischen Ausweichbewegungen deklarierte Zukunftsbild des bundesdeutschen Parlaments zu vollenden.  Derzeit, so Willemsen, ist es noch die Strategie der Kanzlerin, zu entscheidenden Themen gar nichts zu sagen. Das sei bei NSA, NSU, Syrien und den Toten von Lampedusa so gewesen.     ++ (dk/mgn/20.10.14 – 292)

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Leipzg, 9. April 2014 (ADN). Die Tendenzen zur Entpolitsierung und zur Boulevardisierung sowohl in den privaten Fersehsendern als auch in den öffentlich-rechtlichen Anstalten sind unübersehbar. Sogar Gekeife zwischen den Journalisten ist modern geworden. Das erklärte der ehemalige Chefredakteur der Nachrichten-Sendung „Heute-Journal“ des Zweiten Deutschen Fernsehens (ZDF) und langjährige Fernseh-Auslandskorrespondent Ruprecht Eser am Mittwoch in Leipzig. Es herrsche ein Verhältnis wie unter Geyern, zitert der bekannte Nachrichtenmoderator die „Süddeutsche Zeitung“.  Folgen der medialen Erregungsindustrie sei der Tatbestand, dass Politiker und Journalisten wechselseitig den letzten Platz auf der allgemeinen Glaubwürdigkeitsskala in regelmäßigen Abständen tauschen.  Das Vertrauen bei den Bürgern sei hinüber – und nicht nur im Fernsehen.  Die symbolhaft mit Sabine Christiansen auferstandene Talkshow-Republik werde von immer mehr Soft-Nachrichten überschwemmt. Eine derartige „Christianisierung“ verkehre die politische Berichterstattung zu einem zweiten Unterhaltungsprogramm, in dem wir uns zu Tode amüsieren und quatschen. Mediendemokratie habe sich noch in Empörungsdemokratie gesteigert. Sogar das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ gehöre inzwischen zum Kreis der überdrehten Medien. Es werde nicht mehr nur über die Wirklichkeit berichtet, sondern in sie eingegriffen – mit sehr ernsten Konsequenzen.  Als Beispiel für den „Blutrausch der Medien“ – so nannte das Magazin „Cicero“ den Trend – schilderte Eser aus der eigenen journalistischen Praxis in London die Entstehungsgeschichte des  Irak-Krieges. In der Öffentlichkeit wurde verbreitet, dass irakische Kernwaffen, die es eigentlich gar nicht gab, binnen 45 Minuten einsatzbereit seien.

Ruprecht Eser, der seine Antrittsvorlesung als Honorarprofessor an der Universität Leipzig im Bereich Medien und Kommunikation hielt, forderte weniger Tamtam und weniger Eitelkeit im Journalismus. Es gehe nicht darum, Erster um jeden Preis zu sein, sondern um Bereitschaft zu mehr Recherche und Entschleunigung überhaupt. Er wies darauf hin, dass die Staatsverträge der öffentlich-rechtlichen  Rundfunk- und Fernsehanstalten keine Quotenverpflichtung enthalten.  Qualitätsjournalismus sei Kulturgut, nicht Leergut.  ++ (me/mgn/09.04.14 – 099)

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