Archive für Beiträge mit Schlagwort: Gentrifizierung

Berlin, 20. Juni 2015 (ADN). „Über Entwurzelte wollen wir heute sprechen“. Mit diesem Satz eröffnete Bundespräsident Joachim Gauck am Sonnabend seine Ansprache zum ersten nationalen bundesweiten Gedenktag an die Opfer von Flucht und Vetreibung. Vertreibungen würden zunehmend als Unrecht anerkannt. Er ging dabei auf politische Entwicklungen in der Slowakei, Ungarn, Rumänien und Polen ein. Zudem nannte er die Zahl von fast vier Millionen Flüchtlingen aus der DDR, die im Laufe der Jahrzehnte in Westdeutschland aufgenommen worden sind.  Völlig unerwähnt lässt er jedoch diejenigen Menschen, die seit der deutschen Wiedervereinigung innerhalb des Landes unter der Bezeichnung „Gentrifizierung“ und dem harmlosen Begriff demographischer Wandel ihre angestammten Heimatorte verlassen mussten – beispielsweise, um einen Arbeitsplatz andernorts zu ergattern – oder von Immmoblienspekulanten aufgrund prekärer Lebensverhältnisse aus ihren Wohnungen vertrieben worden sind. Allein Berlin verzeichnet jährlich rund 7.000 Zwangsräumungen. Sie zählen zur Kategorie der Binnenflüchtlinge, von denen es laut der Organisation „Terre des Hommes“ weltweit Ende 2013 rund 33, 3 Millkionen gab. Sie werden allerdings laut UN-Flüchtlingskonvention nicht als Flüchtlinge und Vertriebene anerkannt, weil sie keine internationalen Grenzen überqueren. ++ (vk/mgn/20.06.15 – 130)

http://www.adn1946.wordpress.com, e-mail: adn1946@gmail.com, Redeaktion: Matthias Günkel (mgn), adn-nachrichtenagentur, SMAD-Lizenz-Nr. 101 v. 10.10.46

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Berlin, 4. September 2013 (ADN). Mitglieder des Bündnisses „Zwangsräumung verhindern“ und der Fulda-Weichsel-Initiative forderten am Mittwoch in Berlin vor den Toren der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) am Berliner Gendarmenmarkt konkrete Auskünfte über die von der Bank geförderte Sanierung von Miethäusern. Dabei halfen sie mit einem mobilen Stand, Informationsmaterial und Musterbriefen betroffenen Mietern, die über die Modernisierung ihrer Wohnungen notwendigen Informationen zu erhalten und damit letztlich günstigere Mietkonditionen bei den Vermietern zu erwirken.
Die Inititiativen haben festgestellt, dass die Hauseigentümer als von der KfW geförderte Bauherren die finanziellen Vorteile der Baumaßnahmen nicht an die Wohnungsmieter weiterreichen. Da es sich um die Inanspruchnahme öffentlicher Gelder handelt, sind sie jedoch dazu verpflichtet, zumindest Auskunft an die Nutzer der Wohnungen zu erteilen.
Die im Stadtbezirk Neukölln tätige Fulda-Weichsel-Initiative hat anhand konkreter Beispiele nachgewiesen, dass die öffentlich geförderte energetische Wohnungsmodernisierung der stadteigenen Wohnungsgesellschaft DEGEWO einzig und allein dem Fernheizkraftwerk Neukölln zugute kommt. Es sei ein Auftragsbeschaffungsprogramm für die Industrie. Die DEGEWO hat im vergangenen Jahrzehnt in Berlin rund 20.000 Wohnungen mit Steuergeldern saniert.

Die beiden Initiativen haben sich vor Kurzem gebildet, um gegen die wachsenden Mieten und die steigende Zahl von Zwangsräumungen vorzugehen. Unlängst teilten sie mit, dass Immobilienverbände und Justiz mit Hilfe neuer Mietregeln den Rauswurf von Altmietern votrantreiben. Der Vorwurf an die Justiz lautet, bei Mietstreitigkeiten eigentümerfreundliche Urteile zu fällen. Häufig stehen Räumungsklagen und sogar Zwangsräumungen am Ende derartiger Auseinandersetzungen. Die Zahl der Räumungsklagen ist von mehr als 9.000 im Jahre 2009 auf knapp 11.000 im Jahr 2011 gestiegen. Die Zahl der tatsächlichen Zwangsräumungen in Berlin, die von den Behörden nirgends vollständig erfasst wird, schätzt der Paritätische Wohlfahrtsverband zwischen 1.000 und 1.500 pro Jahr. Aus Kreisen der Gerichtsvollzieher verlautbart, sie betrage nur wenige Hundert Fälle.

Einem Informationsblatt der Initiativen zufolge handelt es sich bei „Zwangsräumungen um die gewalttätigste Form der Verdrängung.“ Die Politik unterstütze Vermieter in ihrer radikal neoliberalen Wohnungsmarktpolitik und dulde rasant steigende Mieten. ++ (sp/mgn/04.09.13 – 242)

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Berlin, 25. Januar 2013 (ADN).  Der in deutschen Städten als Gentrifizierung getarnte Rausschmiss einheimischer Bewohner aus ihren angestammten Wohnquartieren nimmt Massencharakter an. Dabei wächst der Ernst am Spaß, den Medien unter den Aktivitäten der Gruppe „Free Schwabylon“ ins Lächerliche ziehen, rapide .

Wie das praktisch vor sich geht, schilderte kürzlich der „Berliner Kurier“ unter der Überschrift „Sie wollen Thierse aus dem Kiez nudeln“. Gemeint ist der Vizepräsident des Deutschen Bundestages, Wolfgang Thierse, der seit Jahrzehnten am Kollwitzplatz im Ostberliner Viertel Prenzlauer Berg wohnt. Er gehört zu den immer seltener werdenden Exemplaren von Berliner Ureinwohnern, die sich das Leben im Stadtzentrum angesichts der eminent steigenden Mieten überhaupt noch finanziell leisten können.  Die anderen müssen wegziehen, denn sie können meist nach Haussanierung ihre Unterkunft nicht mehr bezahlen. Es ziehen immer mehr begüterte und wohlhabende Zuwanderer ein, die sich nun auch noch über die vertriebenen Berliner lustig machen. Dass nun ein Prominenter wie Wolfgang Thierse Opfer dieser Okkupationslust wird, hat er sich letztlich selbst zuzuschreiben. Schließlich ist diese als Gentrifizierung getarnte Vertreibung von Menschen das Ergebnis der von ihm selbst aktiv im Parlament mit betriebenen Politik in den vergangenen zwei Jahrzehnten. Sein Wohngebiet im Prenzlauer Berg wird von immer mehr Schwaben und anderen Zuzüglern aus den westlichen Bundesländern unterwandert und bevölkert. Sie haben nun den Spitzenpolitiker aufs Korn genommen, der in praller medialer Öffentlichkeit den Sprachenwandel in seinem angestammten Stadtteil angeprangert hatte. Beim Bäcker nicht mehr nach Schrippen, sondern nach Wecken fragen zu müssen, damit er verstanden wird, kritisierte er scharf. Nun fordern die neu zugezogenen Bewohner aus den alten Bundesländern – genannt Spätzle-Spontis – den Bundestags-Vizepräsidenten offen auf , „sich eine neue Bleibe zu suchen“.  Als Vorwarnung dafür, dass sie es ernst meinen, haben sie schon mal das Käthe-Kollwitz-Denkmal auf dem gleichnamigen Platz mit den als Spätzle bekannten Teigwaren aus Baden-Württemberg beworfen und besudelt. Parallelen zu unseligen Zeiten Nazideutschlands zu ziehen, liegt da gar nicht mehr fern. Spaß und Ernst können sich sehr schnell sehr nahe kommen. 

Ein zu der Nudel-Mafia gehörender Aktivist des schaurigen Geschehens  erklärte der Zeitung, das nunmehr als Schwabylon kolonisierte Stadtviertel soll „ein Raum sein, in dem sich Schwäbinnen und Schwaben als solche frei bewegen können. Ohne sprachliche, kulturelle, kulinarische und gewaltsame Übergriffe seitens einer autoritären Berliner Minderheit.“ ++ (sl/mgn/25.01.13 – 020)

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München/Berlin/Dresden 17. August 2012 (ADN) .  Das Reizwort Vertreibung macht fast 60 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg wieder die Runde – mitten in Deutschland. In der heutigen Freitag-Ausgabe der „Süddeutschen Zeitung“ (SZ) steht die eigentlich nur mit Krieg unmd Gewalt in Zusammenhang gebrachte Vokabel sogar in der Überschrift. Das ist eine erbärmliche Premiere.  Wurden nach 1945 Deutsche aus ihrem Heim und von ihrer Scholle infolge der militärischen Niederlage vertrieben, so gehen sie gegenwärtig auch noch ihrer angestammten Mietbwohnungen verlustig. Waren früher Außenregionen Deutschlands betroffen, so erfolgen diese Schicksalsschläge nun mitten im Kernland . Dieses völkerrechtswidrige Treiben ist in vollem Gange. Besonders intensiv in Großstädten wie Berlin und München. Diese besondere Art von Krieg und Gewalt geht von der Macht des Geldes und des Finanzkapitals aus. Still und heimlich unterwandert es die Fundamente von Mietshäusern und sprengt völlig geräuschlos deren Wohngemeinschaften. Die Bewohner fliegen raus, weil sie die enorm steigenden Mieten nicht mehr bezahlen können. Die neuen Eigentümer von Haus und Wohnung sind Wohlhabende und Reiche – auch aus dem Ausland.

Zu denen, die massenweise Vertreibung bewerkstelligen, gehört die Immobiliengesellschaft Philippe Starck. Sie kauft Miethäuser billig auf, saniert sie und verkauft die Wohnungen als Eigentumswohungen zu vielfach höheren Preisen. Früher oder später fliegen die ursprünglichen Bewohner aus dem nun zur teuren Luxusherberge gewandelten Haus raus auf die Straße. Die neuen Eigentümer wohnen nur zeitweilig dort oder vermieten an andere Betuchte weiter. Alles funktioniert in völliger sozialer Eiseskälte nach den Regeln der Buchhaltung und profitabel angelegter Investitionen. Die Käufer von Philippe Starcks Wohnungen kommen aus China, Thailand, Amerika, der Türkei oder dem Westen Deutschlands, schreibt die SZ. Besonders hoch sei der Anteil von Italienern an Starck‘ Kundschaft.

Eindrucksvolle Beispiele aus diesen beiden Metropolen schildert der SZ-Beitrag. Die meisten dieser Trauerspiele laufen in Ostdeutschland ab: Mehr als die Hälfte seines Lebens verbrachte Andreas Keller in seinem Kiez in Friedrichshain im Osten Berlins. 20 Jahre in der kleinen Dachwohnung, davor 15 Jahre um die Ecke. Dann sanierte der neue Eigentümer das Haus. Seit einigen Monaten ist Keller raus, fern alter Freunde und seinem bisherigen Leben. Er landete schließlich im Stadtteil Lichtenberg, weil es für den 63jährigen ehemaligen Bühnenbildner und jetzigen Hartz-IV-Empfänger nur ein Suchkriterium für ein anderes Quartier gibt –  möglichst billig. 

In Abwandlung der Parabel des preußischen Militärtheoretikers und Generals Carl von Clausewitz, dass der klassische, mit Schwert und Schild geführte Krieg die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln ist, verkörpert der moderne zivile Krieg die permanente Aussiedlung und Vertreibung großer Bevölkerungsteile von ihrer angestammten Erde aufgrund der Geldgier einiger weniger.  Diesen Trend bestätigt am selben Abend der Abschied der Dresdnerin Sylvia S. aus ihrem Haus in der Nähe des Elbufers. Gekommen sind rund 40 Freunde und Verwandte mit ihren Kindern und Familien, um ein letztes Mal  gemeinsam im Hausgarten mit ihr zu feiern.

Absehbar ist, dass sich gegen solche menschenverachtende Wohnungs- und Städtebaupolitik der Widerspruch und Widerstand immer lauter regt. Der Aufruf des bürgerlichen Revolutionäras Georg Büchner „Friede den Hütten, Krieg den Palästen !“ dürfte angesichts dessen bald nicht nur die Transparente und Reden auf Kundgebungen prägen. Dann wird diese von der Wissenschaft harmlos als Gentrifizierung bezeichnete schleichende Zivilisationskrankheit mit sehr handfesten und radikalen Medikamenten bekämpft werden. ++ (ms/mgn/17.08.12 – 236)

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