Archive für Beiträge mit Schlagwort: Hannover

Berlin, 5. Februar 2015 (ADN). In Deutschlands Städten und Ballungszentren werden die Bauflächen knapp. Als bislang ungenutzte Platzreserve für den Wohnungsbau sind nun Friedhöfe im Visier. Per Umwidmung werden überflüssig geworden e Friedhöfe zu Bauland. Konkrete Überlegungen Pläne dafür gibt es in Rüsselsheim, Essen, Hannover und Ludwigsburg, berichtet die „Süddeutsche Zeitung“ (SZ) am Donnerstag. „Es wäre unverantwortlich, nicht darüber nachzudenken“, wird Berlins neuer Regierender Bürgermeister, Michael Müller, wiedergegeben. 

Berlin ist reich an Friedhöfen. 220 Bestattungsstätten sind registriert. Die Mehrzahl – nämlich 117 – gehören der evangelischen Kirche. 84 sind in städtischem Besitz, 38 schon komplett geschlossen. Tendenz steigen. Berlins Sterberate sinkt. Noch im Jahr 1991 starben 43.654 Menschen. 2010 waren es nur noch 32.234 Menschen. Urnen-, Wald- oder Anonymbestattung nehmen zu. Schon jetzt werden 300 Hektar innerstädtischer Friedhofsflächen nicht mehr gebraucht. Trotz wachsender Bevölkerungszahlen wird dieser Übeschuss an Fläche Schätzungen zufolge auf 700 Hektar steigen. Der Friedhofsentwickungsplan von 2006 sieht die Umwidmung in Parks, Grünanlagen und Bauland von 75 Hektar vor. Auf knapp ein Drittel davon ist der Bau von Wohnungen und Gewerbebauten geplant. Für die Kirchen bedeutet das den Wegfall von Bewirtschaftungskosten. Allerdings kann ein Friedhof erst nach Ablauf einer Pietätsfrist von zehn Jahren aufgegeben werden. Gerade die Pietät könnte zu einer Schlüsselfrage werden. Allerdings ist sie – nach kapitalistischen Gesichtspunkten gemessen – doch eher belanglos. Immerhin werden auch Kirchen und andere Sakralbauten landauf und landab entwidmet, um sie einer nützlichen Verwendung zuzuführen. Das fällt einer Wirtschaftsmacht wie Deutschland nicht schwer. ++ (ba/mgn/05.02.15 – 35)

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Hannover/Leipzig, 24. September 2014 (ADN). Der Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ist in jüngster Zeit in großer Schnelligkeit durch Geheimdienste, Internet-Konzerne und millionenfache freiwillige Selbstauslieferung niedergetrampelt worden. Mit diesen Worten kritisierte der Landesbischof von Hannover, Ralf Meister, in Leipzig am Mittwoch beim 3. Evangelischen Medienkongress das weltweite anglo-amerikanische Spionagesystem. Die Schutzwürdigkeit des Individuums müsse gerade gegenüber neuartigen Gefährdungen verteidigt werden. In diesem Zusammenhang gratulierte der kirchliche Würdenträger Edward Snowden zur Verleihung des Alternativen Nobelpreises. „Snowden hat der Weltgesellschaft mit dieser mutigen Aufklärungstat einen großen Dienst erwiesen. Über die Freiheit unserer digitalen Kommunikation diskutieren wir seit Snowden grundsätzlicher und kritischer. als vorher. Snowden beruft sich auf sein Gewissen und erinnert damit an eine gute protestantische Tradition“, stellte der Bischof fest.

Meister hatte auf dem Medienkongress ein Impulsreferat unter dem Titel „Luther und Snowden. Ein gewagter Vergleich und was wir daraus lernen“ gehalten. Im Grußwort zu der Veranstaltung wird darauf hingewiesen, dass Martin Luthers 500 Jahre alter Kommentar zum achten Gebot „Du sollst nicht lügen“ in der Medienwelt des 21. Jahrhunderts nichts von seiner Aktualität verloren hat. Es sei so leicht geworden, zu belauschen und zu verraten.

Meister erntete für seine Auffassung nicht nur Beifall. Der Verband der Bekennenden Gemeinden hält den Vergleich Luther-Snowden für irrwitzig. Auch die Lutherbotschafterin Margot Käßmann hatte sich bereits im Vorfeld des Kongresses sehr zurückhaltend geäußert. Sie ließ die im Mai dieses Jahres an sie gerichtete Aufforderung eines investigativen Journalisten, für Snowden – wie einst für Martin Luther nach seinem furchtlosen Auftritt in Worms – auf der Wartburg bei Eisenach sicheren Unterschlupf und glaubwürdiges Asyl zu sorgen, von einem kirchlichen Mitarbeiter mit ausweichenden Argumenten beantworten. In der fast sechs Wochen später eingegangenen Reaktion wird mitgeteilt, dass sich historische Analogien in vielen Fällen als problematisch erweisen. In dem Schriftstück aus Hannover heißt es weiter: „Der heute maßgebende Bezugsrahmen für die praktische Arbeit der Kirchen lässt sich mit dem 16. und dem 18. Jahrhundert nicht mehr vergleichen.“ Die Reichsacht, die im 16. Jahrhundert über Menschen verhängt werden konnte, sei mittlerweile abgeschafft. Staat und Kirche seien voneinander getrennt. Wenn dies auch als hinkende Trennung verstanden werde, bilde sie eine „zweifellos späte aber sehr willkommene Errungenschaft der Reformation“. Niemand würde verstehen, wenn die Vertreterin einer Kirche in die Rolle eines damaligen Landesherrn schlüpfen würde, um jemanden an einen Ort, der nicht der Kirche gehört, Unterschlupf gewähren zu wollen. Es komme zu einem absurden Szenario. ++ (me/mgn/24.09.14 – 267)

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Düsseldorf, 17. November 2012 (ADN). Armut ist in den größten deutschen Städten deutlich weiter verbreitet als im Bundesdurchschnitt. Leipzig in Sachsen führt die traurige Tabelle von 15 deutschen Metropolen an, die Teil einer in dieser Woche veröffentlichten Studie der in Düsseldorf ansässigen Hans-Böckler-Stiftung ist. In der sächsischen Messestadt gilt ein Viertel der Bevölkerung als arm. Auf den nächsten Plätzen folgen Dortmund, Duisburg, Hannover, Bremen, Berlin und Dresden. In der sächsischen Landeshauptstadt sind immherin noch 20 Prozent – also ein Fünftel der Einwohnerschaft – arm. Am geringsten sind die Quoten in Hamburg und München mit knapp 15 bzw. zwölf Prozent.

Dabei ist in Leipzig die Armutsquote, die in den Jahren 2008 und 2009 fast an 30 Prozent heranreichte, inzwischen etwas abgeebbt. Sie ist allerdings in Berlin seit dem Jahr 2006 kontinuierlich gestiegen, heißt es in dem Bericht weiter. Dort sei auch die höchste Quote von Empfängern von nach dem Sozialgesetzbuch II (SGB II) zu zahlendem Hilfsgeld zu verzeichnen. Sie liege dort mit 34, 3 Prozent bei den Kindern  unter 15 Jahren besonders hoch.

Von den in ganz Deutschland lebenden 1,614 Millionen hilfebedürftigen Kindern unter 15 Jahren, die nach dem Sozialgesetzbuch II zu sogenannten Bedarfsgemeinschaften gehören, wohnen 442.947 in den betrachteten Großstädten.

„In Norddeutschland haben sich in den vergangegnen Jahren keine dramatischen Entwicklungen ergeben“, sagt die Studie des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftslichen Instututs (WSI) der Stiftung. In Hamburg sei sie sogar erfreulich. Dort ist die Armutsgefährungsquote stärker gesunken als in allen anderen betrachteten Metropolen. Bremen weise diesbezüglich Stabilität auf. 

Als arm oder armutsgefährdet gilt, wer weniger als 60 Prozent eines mittleren, nach Lebensbedarf und Wohnsituation bemessenen Einkommens hat. Bei Alleinstehenden beträgt diese Grenze 848 Euro pro Monat. ++ (so/mgn/17.11.12 -327)

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Berlin/Wiesbaden, 8. August 2012 (ADN). Der Vorsitzende der bundesdeutschen Justizministerkonferenz Jörg-Uwe Hahn will die Facebook-Fahndung auf „rechtlich gesicherte Füße“ stellen. Das teilte der hessische Justizminister der „Berliner Zeitung“ mit,  die ihn in der heutigen Mittwoch-Ausgabe weiterhin mit dem Satz zitierte: „Die Beziehung zwischen Facebook und den Strafverfolgungsbehörden steckt noch in den Kinderschuhen.“ Bis zum Herbsttreffen mit den anderen Ressort-Chefs wolle er Lösungen finden.

Derzeit ist Facebook für die bundesdeutsche Polizei eine rechtliche Grauzone, schreibt Autor Volker Schmidt. Er verweist auf den Anhang der Strafprozessordnung. Danach sollen Internet-Anbieter grundsätzlich nicht eingeschaltet werden.  Diese Formulierung spricht im Kern jedoch das Verbot einer solchen fragwürdigen Kooperation aus.

Dass sich die Behörden um solche entschiedenen gesetzlichen Weisungen kaum scheren, beweist das Bundesland Niedersachsen.  Die Polizeidirektion Hannover begann dem Bericht zufolge im März vergangenen Jahres ein Modellprojekt, das acht erfolgreiche Facebook-Fahndungen erbracht habe. Dann intervenierte der Datenschutzbeauftragte des Landes. Davon ließ sich die Polizei jedoch kaum beeindrucken. Auch das hessische Landeskriminalamt ist inzwischen in diese eigentlich untersagte Spurensuche eingetreten.

Der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar hat sich inzwischen ebenfalls zu Wort gemeldet. Zu Recht argumentiert er, dass einmal online gestellte Angaben auch dann noch im Netz kursieren, wenn Verdächtige sich längst als unschuldig erwiesen haben. Nach Zeugen auf diesem Weg zu suchen, sei ohnehin ein absolutes Tabu. Ob die Polizei sich solche Mahnungen zu Herzen nimmt, dürfte angesichts der bereits geschaffenen Tatsachen und der politischen Ankündigungen nicht zu vermuten sein. ++ (ml/mgn/08.08.12 – 227)

Leipzig/Hannover/München, 24. Januar 2012 (ADN). Pünktlich zum 300. Geburtstag von Friedrich dem Großen rücken preußische Tugenden ins Rampenlicht und bieten Christian Wulff die notwendigen juristrischen Strohhalme, um sich seiner verzwickten Lage zu entziehen. Heribert Prantl erläutert in der heutigen Dienstagausgabe der „Süddeutschen Zeitung“, wie sich der Bundespräsident mit einer Selbstreinigungsklage beim Staatsgerichtshof zu befreien versuchen  könnte. Der Absatz 3 des Artikels 40 der niedersächsischen Landesverfassung könnte Wulff dem Ansinnen seiner politischen Gegner entrinnen lassen. Sie wollen dem Bundespräsidenten  mit Hilfe des ersten Absatzes dieses Artikels – einer „Anklage von Regierungsmitgliedern“ – ein juristisches Bein stellen. Dem könnte Wulff unter Berufung auf den dritten Absatz zuvorkommen. Der sieht eine Selbstreinigungsklage vor, die im Übrigen mit keiner besonderen Hürde verbunden ist.

Derartiges ist ein sehr selten angewandtes, fast verschollenes juristisches Instrument, das zu Zeiten der Weimarer Republik einmal eingesetzt wurde. Am 20. Juli 1932 ist es als sogenannter „Preußenschlag“ in die Rechtsgeschichte eingegangen. Damals sollte mittels Artikel 59 der Weimarer Reichsverfassung, mit dem gegen Reichspräsident, Reichskanzler oder Reichsminister Anklage beim Staatsgerichtshof in Leipzig  erhoben werden konnte, die preußische Regierung abgesetzt werden. Der Erfolg war mittelmäßig. Für Preußen wurde infolge der Auseinandersetzung ein Reichskommissar bevollmächtigt.

Ähnliche Regelungen wurden nach 1945 in die Landesverfassungen einiger alter Bundesländer aufgenommen, um gegen Staatsverbrechen wirksam vorzugehen. Ihre Anwendung wurde ebenfalls sehr selten praktiziert: in Niedersachsen scheiterte Oppositionsführer Christian Wulff damit zweimal – 1999 und 2001. Ein weiteres noch sehr aktuelles Beispiel lieferte Rheinland-Pfalz. Dort haben vor fast einem Jahr 37 CDU-Abgeordnete und 10 FDP-Abgeordnete dieses schwere Geschütz aus der Versenkung geholt und gegen den SPD-Juistizminister Heinz Georg Bamberger in Stellung gebracht. In ihrem Antrag vom 22. Februar 2011 heißt es: „Bamberger hat am 22.  Juni 2007 in seinem Dienstzimmer die Ernennungsurkunde für das Amt des Präsidenten des Oberlandesgerichts Koblenz an den ausgewählten Bewerber unmittelbar nach Zustellung der Beschwerdeentscheidung des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz ausgehändigt, obwohl ihm zuvor der unterlegene Bewerber seine Absicht mitgeteilt hatte, das Bundesverfassungsgericht anzurufen…. Nach alldem ist eine Ministeranklage vor dem Verfassungsgerichtshof geboten, die im Falle einer Verurteilung die Entlassung nach sich zieht.“ Letztlich wurde der Antrag mit knapper Mehrheit der SPD-dominierten Mehrheit im Mainzer Landtag abgeschmettert.

Einen zusätzlichen Impuls für dieses „Institut der Präsidenten- und Ministeranklage“ löste ein Hannoveraner Rechtswissenschaftler aus. Erst vor wenigen Monaten holte Sebastian Steinbarth diesen Sachverhalt aus der rechtshistorischen Mottenkiste und analysierte dessen Wahrheiten umfassend. In seiner 2011 abgeschlossenen und erfolgreich an der Juristischen Fakultät der Leibniz-Universität Hannover verteidigten Promotion beleuchtet er dies unter „rechtshistorischer und rechtsvergleichender Perspektive“.  Auf 336 Seiten untersuchte Steinbarth „Ursprünge, Erscheinungsformen und bleibende Sinnhaftigkeit von Gerichts- und Impeachementverfahren gubernativer Verantwortlichkeit“. Gewiss wird die Schrift demnächst vergriffen sein. ++ (jr/mgn/24.01.12 – 24)

Hannover, 21/22. Januar 2012 (ADN). Bundespräsident Christian Wulff rückt nun ins Rampenlicht höchster Gerichte der Bundesrepublik Deutschland. Zwei Landespolitiker in Niedersachsen wollen diesbezüglich initativ werden. Stefan Schostow (SPD) will binnen einer Woche den Niedersächsischen Staatsgerichtshof einschalten. Der Landtags-Fraktionschef will gegen Wulff wegen Täuschung klagen, erklärte er gegenüber „Bild am Sonntag“.

Noch schwereres Geschütz fährt Schostows Pendent im Landtag von Hannover auf. Der Grünen-Politiker und Fraktionschef Stefan Wenzel fordert sogar eine Präsidentenanklage. Dazu sei Artikel 61 des Grundgesetzes heranzuziehen. Der Deutsche Bundestag müsse diesen Schritt nun ernsthaft erwägen. Bislang war allgemein mit den Schultern gezuckt worden, wenn rechtliche Mittel gegen Wulff in die Diskussion gebrachten wurden. Nun hat Wenzel, der den Bundespräsidenten als erster in der nun viele Wochen währenden Affäre als Lügner bezeichnete, im Grundgesetz geblättert und ist fündig geworden. Ihn habe es fassungslos gemacht, in welcher Art und Weise sich in den letzten drei Tagen der niedersächsische Finanzminister vor all die Dinge gestellt habe, die in den vergangenen Jahren vorgefallen sind. Juristisch und der Sache nach sei alles richtig gewesen. In Wirklichkeit werde Recht und Gesetz gebrochen und ignoriert. So argumentieren Menschen, die etwas vertuschen wollen, sagte Wenzel am Sonnabend Deutschlandfunk.

Wenzel kündigte weitere Nachforschungen an. Akten- und Bürgschaftseinsicht sei zu nehmen, um sich zu vergewissern, dass Firmen des Wulff`schen Freundeskreises Bürgschaften in Höhe von 14 Millionen Euro bekommen haben. Zudem soll der Landesrechnungshof zu einer Sonderprüfung der NordLB veranlasst werden. Wenn dies nicht greife, werde wahrscheinlich ein Untersuchungsausschuss unabdingbar.

Ob die nun aus Hannover in Richtung Berlin abgefeuerten juristischen Kanonenkugeln dort empfindlichen Schaden verursachen, hängt nun vom Zaudern oder konsequentem Durchgreifen insbesondere der SPD ab. Letztlich wird das auch davon abhängen, wie resistent die seinerzeit während der SPD-Regentschaft in Hannover bestehenden Netzwerke sind und entzsprechenden juristischen Prüfungen standhalten.  ++ (kr/mgn/21.01.12 – 21)

Berlin, 23. Dezember 2011 (ADN). „Alle hoffen, dass es keine weiteren grenzwertigen Vorgänge geben wird“. Mit diesen Worten schließt ARD-Hauptstadtkorrespondent Ulrich Deppendorf seinen Kommentar am Donnerstagabend in der causa Bundespräsident Wulff.

Der Fersehjournalist saß selbst im Zuschauerraum des „Staatstheaters Schloß Bellevue“, als Hauptdarsteller Christian Wulff  gleich zu Beginn seines rund zehn Minuten dauernden Auftritts mitteilte: „Nicht alles, was juristisch rechtens, ist auch richtig“.  Die in der ARD erwähnten Täuschungsvorgänge wurden nicht explizit genannt, obwohl deren Zahl mit etwa einem halben Dutzend derzeit noch überschaubar ist und würden – in angemessener Kürze beschrieben – auf eine Buchseite passen. Unausgesprochen steht jedoch im Raum, dass auf dem Sektor moderner Rosstäuscherei noch sehr, sehr viel mehr denkbar ist. Über 100 Seiten zählte immerhin eine bereits im Jahr 1822 publizierte diesbezügliche Schrift. Unter dem Titel „Die geheimen Künste der Rosstäuscher“ wird eine Unmenge von Ratschlägen für Feilscher und Trickser offenbart, um mit abgehalfterten Gäulen viel Geld zu ergaunern. Danach war für den Rosstäuscher wichtig, dass er auch „Menschenkenntnis, Lebensumgang und kluges Benehmen im Allgemeinen“ mit sich bringt.  Solche Eigenschaften hat Christian Wulff zu bieten.  In der heutigen Zeit – so schreibt ein Internetportal – wird der Begriff Rosstäuscher auf viele Arten des Betrugs durch Schönfärberei, Kaschieren von Makeln und gezieltes Weglassen von Informationen angewendet.  Gerade auf Letzteres verstehen sich die Rosstäuscher von der Leine besonders gut, wie der jüngste Fall des aus Hannover (Leine) nach Berlin (Spree) versetzten Präsidenten beweist.

Dass solche Experten auch in anderer Hinsicht von der Leine gelassen sind und das Rosstäuschen zu einem Massensport gemacht haben, ist kaum zu übersehen. Die Zeitung „Der Tagesspiegel“ aus Berlin hat deshalb vor rund zweieinhalb Jahren eine zehnteilige Artikelserie „Vergessene Berufe“ veröffentlicht. Der erste Beitrag war – offenbar wegen der wiedergewonnenen Aktualität – den Rosstäuschern gewidmet. Dieser Beruf hatte vor vielen Jahrzehnten bereits Hochkonjunktur und fand sogar literarisch reges Echo. Die Schriftsteller Annette von Droste-Hülshoff aus dem Münsterland und der Wiener Emil Scholl schrieben Werke unter demselben Namen „Der Roßtäuscher“. Und das Werk Heinrich von Kleists, der in „Michael Kohlhaas“ den nichtlösbaren Konflikt des ehrlichen Pferdehändlers mit der Justiz schilderte und dessen 200. Todesjahr in wenigen Tagen endet,  findet einen überraschenden und  turbulenten Aufgalopp.

Trotz des mafiösen Potenzials des neuerwachten Sports hat die Bundesrepublik Deutschland dafür keine gesetzlichen Gegenmittel ergriffen. Ganz anders die Österreicher. Sie haben schon im Jahr 2002 ein neues Gewährleistungsrecht in Kraft gesetzt. Ob ein Rosstäuscher für ein krankes Pferd haftet, ist sogar in einer eigenen Verordnung  geregelt. „Stellt der Käufer innerhalb von 14 Tagen die Dämpfigkeit oder den Dummkoller fest, gilt die in der Praxis schwer widerlegbare Vermutung, dass der Gaul bereits beim Verkauf krank war. Würde das auf deutschem Territorium gelten, könnte der gegenwärtige Bewohner im  Schloß Bellevue von Berlin nach Hannover problemlos zurückdelegiert werden – Schadenersatz eingeschlossen.  ++ (kr/mgn/23.12.11 – 40)