Archive für Beiträge mit Schlagwort: Historiker

Berlin, 6. April 2015 (ADN). Die Friedensordnung von 1989/90 ist in Frage gestellt. Das erklärte der Berliner Historiker Heinrich August Winkler am Montag in einem Interview mit dem Deutschlandfunk. Deutliche Zeichen dafür seien, dass Russlands Präsident Wladimir Putin die Unterschrift unter die Charta von Paris zurückgezogen habe und in einem europäischen Land – nämlich in der Ukraine – ein Krieg geführt wird. „Bereits mit Boris Jelzin wurde der Kurs zu einem wilden Kapitalismus eingeschlagen.“ Die orthodoxe Kirche stütze diesen Weg und erweise sich als Gralshüter dieser Ordnung. Moskau sehe sich in einer Position, das dritte Rom als Macht zu werden – nach dem antiken Rom in Italien und dem byzantischen Reich in Kleinasien. Putin befinde sich auf Rechtskurs, indem er den Front National in Frankreich und die Joppik-Partei in Ungarn mit ins Boot nimmt.

Wenn sich die USA und die EU streiten geht es nach Meinung von Winkler immer um die Grundwerte und die Menschenrechte. Letztlich drehe es sich um die Werte der Amerikanischen Revolution von 1776 und der Französischen Revolution von 1789. Verbriefte Bürger- und Menschenrechte umzusetzen, falle einem autoritären Staat wie China schwer. Dieses Land relativiere die Menschenrechte und die 1948 beschlossene Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (AEMR). „Es gibt generell keine Strukturen, die menschenrechtsunfähig wären“, so der Historiker.  Scheinbar habe China eine Zeit lang einen ganz anders gearteten Einfluss auf Afrika genommen. Inzwischen empfinden aber die Afrikaner das chinesische Engagement als Neokolonialismus, behauptet der Wissenschaftler. Nach seiner Auffassung muss der Westen die islamische Herausforderung viel ernster nehmen. Deshalb müsse Tunesien und dessen positives Beispiel unbedingt unterstützt werden. Im Koran sei eben nicht so klar die Auforderung zu finden, die der Bibel zu entnehmen ist: „Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und gebt Gott, was Gottes ist.“  ++ (mr/mgn/06.04.15 – 77)

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Leipzig, 27. März 2015 (ADN). Die vor einer Woche erschienene Null-Ausgabe der „Leipziger Zeitung“ (LZ) geht inzwischen weg wie warme Semmeln. Die neue Wochenzeitung, die beim Auftakt an einem halben Dutzend Plätzen zu haben war, findet sichtbaren Zuspruch und wachsendes Interesse. Wie Moritz Arand, einer der drei Zeitungsgründer, am Freitag mitteilte, ist die Neuerscheinung in immer mehr Kiosken, Presse-Läden und anderen Geschäften im Angebot. Es seien zunächst 10.000 Exemplare gedruckt worden. Auch fliegende Händler sollen künftig die Zeitung anbieten. Sogar überregional entstehe bereits Nachfrage nach der 32-Seiten-Lektüre. Das sehr heterogen und facettenreich zusammengestellte Redaktionsteam sei ebenfalls ansehnlich aufgestockt worden. Derzeit habe die Mannschaftsstärke rund 30 Mitarbeiter erreicht. Zu dem ambitionierten und erfahrenen Team gehören Journalisten, Historikern,  Politikwissenschaftlern, Desigern, Theologen, Fotografen, Karikaturisten und Künstler.

Das Verhältnis zum Leser und zu den Bürgern der Stadt Leipzig bezeichnet Arand als besonders wichtig. Inzwischen sei Mitte dieser Woche bereits eine erste von regelmäßig geplanten Leserkonferenzen über die Bühne gegangen, auf der spannende Diskussionen stattfanden und von der Impulse ausgegangen sind. Weitere vier sind für April bereits terminiert.

Die „Leipziger Zeitung“ gibt somit das längst fällige Startsignal für einen generellen Wandel der städtischen Pressestruktur. Näheres dazu ist dem Titelbeitrag unter der Überschrift „Ein anderer Beginn“ zu entnehmen. Es sei der beste Zeitpunkt eine gedruckte Zeitung für Leipzig herauszubringen – ohne Verlagshaus und ohne reichen Gönner. Dort heißt es weiter: „Eine Wochenzeitung ist genau die richtige Form, in Leipzig die Medienlandschaft zu ergänzen, eine Lücke zu füllen mit lokalen Themen aus Politik, Wirtschaft, Gesellschaft, Bildung & Wissenschaft, Kultur Sport und Unterhaltung. Ein Medium, das nicht so flüchtig ist wie eine Tageszeitung, nicht so unverbindlich wie zahllose Internet-Blogs.“ Die Stadt brauche endlich eine neue Zeitung. Diese Feststellung dürfte größte Zustimmung finden. Dass es in der traditionsreichen Hochburg des Buches und der Druckkunst seit Jahren nur eine einzige Tageszeitung gibt, spricht Bände. Die mediale Einfalt und schmale Informationskost in dieser Großstadt, in der es früher ein Dutzend Zeitungstitel gab, ist beschämend und zeugt von einer Armseligkeit spezieller Art. Das hat sogar zu beunruhigenden Fehlentwicklungen geführt. Leipzigs printmediale Einöde bekommt mit der „Leipziger Zeitung“ mehr als einen Farbtupfer. ++ (me/mgn/27.03.15 – 76)

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Hamburg/München/Berlin, 16. März 2015 (ADN). Das Londoner Schuldenabkommen von 1953 sollte genau unter die Lupe genommen werden. Das empfahl der  Völkerrechtler Jasper Finke von der Bucerius Law School Hamburg am Montag in einer Rundfunkdiskussion über das jüngste Aufflammen des Streits über die immer noch ungeklärten Reparationsansprüche der deutschen Kriegsgegner im Zweiten Weltkrieg. Dem Londoner Vertrag sei eindeutig zu entnehmen, dass Reparationsregelungen zurückgestellt werden bis zu einer endgültigen Vereinbarung in einem Friedensvertrag. Da ein solcher Friedensvertrag aber bis heute nicht existiere, gebe es eben auch noch keine Klärung und keinen Kontrakt über Reparationen. Die von zahlreichen Experten insbesondere in der Bundesrepublik Deutschland vorgebrachten Einwendungen, das in Moskau abgeschlossene Zwei-plus-Vier-Abkommen sei eine abschließende Regelung für Deutschland als Ganzes und komme einem – wenn auch prononciert nicht so bezeichneten – Friedensvertrag gleich, treffe nicht zu. Gleiches gelte für die Behauptung, in der Charta von Paris hätten die am Moskauer Vertrag von September 1990 nicht beteiligten Parteien – wie beispielsweise Griechenland – diese Vereinbarung wohlwollend zur Kenntnis genommen und damit akzeptiert. Auch die Redewendung „Wer schweigt, stimmt zu !“ habe keinerlei Relevanz und bedeute nicht, dass der Vertrag für nicht beteiligte Dritte Rechtskraft erlangt.

Weiteren von der Bundesrepublik jahrzehntelang vorgetragenen Ausflüchten, Griechenland sei bereits im Zuge längst vergangener Zahlungen an die Hauptsiegermächte und in den 60er Jahren, erschöpfend entschädigt worden, trat der Völkerrechtsexperte mit schwerwiegenden Argumenten entgegen. So gebe es keine Nachweise dafür, dass die Vier Mächte an die anderen der auf 50 Länder bezifferten Siegerstaaten von den gezahlten deutschen Geldern etwas weitergereicht haben. Darüberhinaus flossen die in den 1960er Jahren überwiesenen Millionensummen allein zum Ausgleich von NS-Unrecht. Diese hätten mit Kriegsfolgeschäden nichts zu tun. Finkes Fazit lautet: „Die Fragen sind eben juristisch nicht geklärt. Der Zwei-plus-Vier-Vertrag lässt zu viel offen und zwischen seinen Zeilen wird zu viel gelesen.“ Der Auffassung des Hamburger Juristen schlossen sich nach Angaben der Moderatorin etwa 90 Prozent der Zuhörer an, die sich per e-mail artikuliert hatten.

Nach Meinung des Wirtschaftswissenschaftlers Alexander Kritikos vom Deutschen Institut der Deutschen Wirtschaft (DIW) ist Griechenland im Vergleich zu Frankreich, Polen und Israel bei der Wiedergutmachung von Kriegsfolgen immer benachteiligt worden. Es bestehe zumindest eine moralische Pflicht Deutschlands, den Griechenland während der deutschen Besatzungszeit auferlegten Zwangskredit zurückzuzahlen. Denkbar wäre es zudem, das 1942 aufgenötigte und von einem Zuhörer als rein privatrechtlichen Kontrakt zwischen der Deutschen Reichsbank und der griechischen Nationalbank eingestufte Darlehen in großen gemeinsamen deutsch-griechischen Zukunftsprojekten aufgehen zu lassen.

Diesen Positionen trat  der Historiker und Chefkorrespondent der Tageszeitung „Die Welt“, Michael Stürmer, vehement entgegen. Wenn im Jahr 1990 sämtliche 50 Kriegssieger in die Verhandlungen einbezogen worden, hätte sich das „kleine Zeitfenster“ als zu kurz erwiesen, um mit der im Zerfall befindlichen Sowjetunion  noch eine Vereinbarung über die deutsche Wiedervereinigung zu treffen. Das gelte in der Gegenwart und Zukunft noch viel mehr, weil inzwischen eine solche staatliche Zerstückelung eingetreten ist, dass man es mit rund 100 Nachfolgestaaten der ursprünglichen Siegermächte als Verhandlungspartner zu tun haben würde. Im Übrigen müsse irgendwann einmal Rechtsfrieden einkehren. Ansonsten könnte Bayern von Griechenland noch die zwei Millionen Gulden einfordern, die sein König Otto und das Haus der Wittelsbacher den Hellenen vor rund 160 Jahren geliehen und noch nicht zurück bekommen haben. ++ (vk/mgn/16.03.15 – 67)

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Leipzig, 15. März 2015 (ADN). Die Ostdeutschen werden von westdeutschen Eliten beherrscht. Eigene gibt es nicht. Das stellte Prof. Rainer Eckert, Direktor des Zeitgeschichtlichen Forums, am Sonntag in einer Diskussion in Leipzig fest. Dieser Vorwurf, der auch auf den Demonstrationen von Pegida und Legida zu hören ist, habe seine Berechtigung. Er habe sich persönlich mehrmals auf den Kundgebungen über das Meinungsbild der Protestierer überzeugt. Die Demonstrationsteilnehmer hätten ihm gesagt, dass Politiker eine abgehobene Kaste sind, die nur in die eigene Tasche wirtschaften. Allerdings müsse festgestellt werden, dass es bereits unmittelbar nach der Friedlichen Revolution in der DDR an dem nötigen Leitungspersonal mit entsprechender Neuorientierung gemangelt hat. „Um einen eigenen Staat aufrecht zu erhalten, waren wir zu wenige und zu ungenügend qualifiziert“, sagte der gebürtige Potsdamer. Dennoch benötige Ostdeutschland eine eigene Führungsschicht. Aus gesamtdeutscher Sicht beträgt der Anteil ostdeutscher Eliten nur zwei Prozent. Damit sei die Situation noch trister. Der Historiker erläuterte weitere massive Defizite in den Neuen Bundesländer. So sei es nicht gelungen, eine aktive Zivilgesellschaft aufzubauen. Darin liege eine wichtige Ursache für die derzeitigen gesellschaftlichen Eruptionen und die nicht erfüllten „unabgegoltenen Hoffnungen“. Um Abhilfe zu schaffen und die Bürger am politischen Leben zu beteiligen, befürwortet Eckert die erneute Installation „Runder Tische“. Er verlangte mehr Selbstbestimmung, Volksbegehren und eine herrschaftsfreie Kommunikation. Bisher sei nicht der richtige Weg gefunden worden und die Politik erkenne das Problem nicht. Zu seiner Überraschung habe er feststellen müssen, dass auch in den alten Bundesländern mit Druck auf die Bürger operiert wird. Die Drohung mit der Angstkeule „Sozialer Abstieg“ sei alltäglich.

Runde Tische lehnte der Historiker Prof. Eckard Jesse ab. Der demokratische Staat brauche sie nicht. Das machen die Parlamente. Einige Bürgerrechtler weinten ihren Illusionen nach. Ausgangspunkt der Diskussion war das von Jesse mit herausgegebene Buch „Friedliche Revolution und Demokratie – Perspektiven nach 25 Jahren.“ ++ (dk/mgn/15.03.15 – 66)

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Berlin, 13. Januar 2015 (ADN). Ohne Frage gehörten zu den Zehntausend Dresdenern, die Helmut Kohl am 19. Dezember 1989 zujubelten und riefen „Wir sind ein Volk“, auch viele heutige Pegidaleute. Das stellt der Historiker Götz Aly in einer Kolumne der Dienstagausgabe der „Berliner Zeitung“ fest. Pegidisten seien sehr wohl auch jene Massen gewesen, die sich seinerzeit am Ende den lange Zeit marginalen Protesten der Bürgerrechtler anschlossen, so die DDR-Führung lähmten und schließlich zu Fall brachten. 

Wer Näheres über diesen Typ Umstürzler und seinen Sozialcharakter wissen möchte, dem empfiehlt Aly die Lektüre des Buches „Jahrestage“ von Uwe Johnson und dessen literarische Figur Alfred Fretwurst. Dessen unzählige Mit- und Wiedergänger seien stets auf ihren Vorteil bedacht. Sie hätten an allen vier 9.-November-Aktionen der deutschen Geschichte im 20. Jahrhundert teilgenommen. „Am 9. November 1989 gaben sie der kaiserlichen Herrschaft den letzten Stoß, klatschten am 9. November 1923 dem Putschversuch Hitlers Beifall, damit wieder Ordnung herrsche, und am 9. November 1938, während des Judenprogroms, plünderten sie zertrümmerte Geschäfte.Wenn auch in letzter Stunde, halfen die Fretwursts am 9. November 1989 dabei, die Mauer zu schleifen,“ schreibt der Historiker. Heute nach 25 Jahren riefen sie in Dresden „Wir sind das Volk“. Als Geschichtspessimist gehe er davon aus, dass gute und böse politische Massenaktionen nicht von verschiedenartigen, sondern überwiegend von einander ähnlichen Menschen ins Werk gesetzt werden. 

Als naheliegende historische Assoziation der modernen Pedigisten bieten sich die Sansculotten der Französischen Revolution vor 225 Jahren an. Die revoltierenden Frühproletarier mit der Jakobinermütze auf dem Kopf und den kurzen Hosen waren Kleinbürger und Arbeiter. Sie verkörperten die eigentliche Volksherrschaft. Die „Sansculottes“ forderten in den Aufständen von Germinal und Priairial Brot und die Verfassung des Jahres 1793. Das taten die Legidisten – der Leipziger Ableger der Dresdener Pegida – am Montag bei ihrer Premiere ebenfalls. Sie verlangten nach direkter Demokratie und einer gesamtdeutschen Verfassung.  ++ (de/mgn/13.01.15 – 13)

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Göttingen, 23. September 2014 (ADN). Geschichte als Vergleich wird immer wieder in politische Diskussionen eingespeist. Sie greift tatsächlich in die politische Meinungsbildung ein. Das stellte der Vorsitzende des Verbandes der Historiker und Historikerinnen Deutschlands, Martin Schulze Wessel, am Dienstag in Göttingen zur Eröffnung des 50. Historikertages fest. Ein Schlüsselvortrag und eine spannende Diskussion sei deswegen insbesondere von der Begegnung mit dem australischen Historiker Christopher Clark auf dem viertägigen Kongress zu erwarten. Die Ursache liege darin, dass Clark in seiner Studie „Die Schlafwandler“ zu einer anderen Einschätzung und Deutung als der bisher dominierenden über den Ersten Weltkrieg gekommen ist. Eine Rolle für den Verkaufserfolg des Buches spiele sicher auch die Tatsache, dass viele Leser in der Abhandlung des Australiers etwas sehen, was der Autor möglicherweise gar nicht impliziert hat – nämlich eine Entschuldung Deutschlands für die Verantwortung am Ersten Weltkrieg.

Partnerland der diesjährigen Jahrestagung der deutschen Geschichtswissenschaftler ist Großbritannien. In einem Grußwort weist der britische Botschafter in Deutschland, Simon MacDonald, darauf hin, dass König Georg II. die Universität Göttingen im Jahr 1737 gegründet hat. Der Beitrag des britischen Königshauses zur Existenz der Georg August Universität Göttingen, auf deren Gelände der Kongress stattfindet, finde beispielsweise im Bereich Völkerkunde in der Cook/Forster-Sammlung seine Fortsetzung und dokumentiere ein wichtiges Ergebnis dieser bis heute währenden deutsch-britischen Zusammenarbeit. Aus aktuellem Anlass des vor wenigen Tagen abgehaltenen Referendums über die Unabhängigkeit und Abspaltung Schottlands vom Vereinigten Königreich werden weitere lebhafte und erfrischende Debatten das Tagungsprogramm bereichern. Göttingen war bereits einmal Standort dieser Veranstaltungsserie der deutschen Geschichtsexperten. Es handelte sich um den 18. Historikertag im Jahr 1932, einem Zeitpunkt ausgangs der Weimarer Republik. ++ (hi/mgn/23.09.14 – 266)

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Berlin, 4. August 2014 (ADN). Die Spannungen zwischen Kapitalismus und Demokratie sind immens gestiegen. Das resümieren der Direktor der Abteilung Demokratie und Demokratisierung im Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB), Wolfgang Merkel, und der Historiker Jürgen Kocka in einem Beitrag der jüngsten Printausgabe der WZB-Mitteilungen. Wachsende ökonomische Ungleichheit bedrohe das Prinzip der politischen Gleichheit – mit fatalen Folgen für die Verlierer der Globalisierung. „Die Entterritorialisierung wirtschaftlicher und wirtschaftspolitischer Entscheidungen in inter- und supranationalen Zusammenhängen ist zu einem Problem für die Demokratie geworden, die ja weiterhin in nationalstaatlichen Räumen stattfindet,“ schreiben die Autoren. Parlamente verlören Einfluss in der parlamentarischen Gesetzgebung und in der Kontrolle der Exekutive. Im Extremfall würden sie zu bloßen Ratifikationsinstanzen voher getroffener Entscheidungen der Regierungen.

Das eigentliche Problem ist nach Auffassung von Kocka und Merkel, dessen Buch „Ist die Krise der Demokratie eine Erfindung ?“ noch in diesem Sommer erscheint, die mit der ansteigenden Wahlenthaltung einhergehende soziale Selektivität. „Die unteren Schichten steigen aus der politischen Beteiligung aus, die mittleren und oberen Schichten bleiben“, so stellen sie fest. Beispielhaft dafür werden die Präsidentschaftswahlen in den USA genannt. Dort verfügen 80 Prozent derjenigen, die ihren Wahlwillen bekundeten, über ein Haushaltseinkommen von 100.000 US-Dollar und mehr. Dagegen äußerten nur ein Drittel der Bürger ihre Wahlabsicht, die lediglich nur bis zu 15.000 US-Dollar jährliches Haushaltseinkommen aufweisen. Diese „amerikanische Krankheit der Unterschichtsexklusion“ hat nach Ansicht der beiden Wissenschaftler auch Europas Wähler befallen. Das politische Gleichheitsprinzip werde auf der Partizipations-, Repräsentations- und Policy-Ebene ausgehöhlt.  ++ (dk/mgn/04.08.14 – 215)

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Berlin, 28. Juli 2014 (ADN). Der Kriegserklärung Österreich-Ungarns an Serbien vor genau 100 Jahren folgten die ersten britischen Schüsse in Afrika.  Sie fielen zwei Wochen später in der deutschen Kolonie Togo, nachdem Großbritannien dem Deutschen Reich am 4. August den Krieg erklärt hatte.  Darauf wies der Konstanzer Historiker Jürgen Osterhammel in einem am Montag in der „Berliner Zeitung“ veröffentlichten Interview hin. Insofern habe sich der Erste Weltkrieg von Anfang an nicht auf Europa beschränkt. „Ein Krieg, an dem England teilnahm, musste ein Weltkrieg sein. Das hing mit der britischen Machtstellung in der Welt, mit dem Empire zusammen,“ so Osterhammel. Es führte dazu, dass die britischen Kolonien und Dominions in den Weltenbrand eingezogen worden sind – in erster Linie durch Beteiligung von Truppenverbänden aus diesen Besatzungsgebieten. In Australien und Neuseeland spielt die Erinnerung an den Ersten Weltkrieg bis heute eine große Rolle, bemerkte der Geschichtswissenschaftler. Neuseeland habe immerhin ein Zehntel seiner Bevölkerung auf die Schlachtfelder geschickt. Indien stellte in diesem globalen Militärkonflikt 800.000 kämpfende Soldaten.  Im Übrigen, so Osterhammel, handle es sich selbstverständlich um eine Definitionsfrage, um zu klären, was ein Weltkrieg ist. Schon der Siebenjährige Krieg von 1756 bis 1763 sei auf vier Kontinenten ausgetragen worden. Dennoch werde er nicht als Weltkrieg eingestuft. ++  (mi/mgn/28.07.14 – 208)

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Berlin, 17. Juni 2014 (ADN). Passend zum 61. Jahrestag des Volksaufstandes in der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) berichtet „Der Tagesspiegel“ am Dienstag ausführlich über die Zwangsarbeit in dem untergegangenen sozialistischen deutschen Teilstaat. Überraschenderweise wird der Begriff „Zwangsarbeit“ sehr differenziert betrachtet und näher unter die Lupe genommen. Der von den Opferverbänden kommunistischer Gewaltherrschaft in Auftrag gegebenen Untersuchung liegt eine wissenschaftliche Analyse des Historikers Christian Sachse zugrunde.  Darin werden als Einsatzgebiete von DDR-Zwangsarbeitern Bergbau, Stahlwerke, Gießereien, Gleisbau und Chemiebetriebe genannt. „In der DDR wurde aus rechtlicher Sicht als auch in der Praxis eine verbotene Form der Zwangsarbeit betrieben“. Mit diesem brisanten Zitat aus der Studie wird in logischer Konsequenz vermittelt, dass es offensichtlich auch legale Zwangsarbeit gibt. Um das zu belegen, wird an internationale Konventionen erinnert, die durchweg Zwangsarbeit von Häftlingen erlauben. Selbst das Grundgesetz lässt Zwangsarbeit nach Auffassung von Sachse zu. In der DDR wurde gegen die Übereinkunft Nr. 105 der Internationalen Arbeitsorganisation  (ILO) verstoßen. Sie enthält das Verbot von Zwangsarbeit zur politischen Erzihung oder des politischen Zwangs. Allerdings hatte die DDR diese Regelung gar nicht unterzeichnet.

Bei der Präsentation des Forschungsberichts zu Beginn dieser Woche waren sich Fachleute und Politiker darüber einig, dass dies nur ein Anfang einer weitergehenden Diskussion sein könne. Immerhin sind schon andere Analysen auf den Weg gebracht worden. So hat die Deutsche Bahn eine Untersuchung der Zwangsarbeit bei der Reichsbahn angekündigt. Dort sollen zwischen 1951 und 1989 pro Jahr etwa 1.200 Häftlinge gearbeitet haben. Ebenfalls ist eine Studie zur Zwangsarbeit in Arbeit, die unter der Regie der Beauftragten der Bundesregierung für die neuen Bundesländer, Iris Gleicke, steht.

Sachse macht zudem auf ein grundsätzliches Problem aufmerksam. Aus Zwangsarbeit erwächst Anspruch auf Entschädigung. „Es gibt keine scharfe Trennung zwischen politischen und kriminellen Häftlingen“, sagt der Historiker. Juristisch könne das eine große Hürde werden. ++ (ju/mgn/17.06.14 – 167)

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Zürich, 13. Juni 2014 (ADN). Die Genossenschaften verkörpern für den schwezerischen Bundesstaat ein zentrales Fundament. Das stellt Dr. Rene Roca vom Forschungsinstitut direkte Demokratie in der jüngsten Ausgabe der schweizerischen Wochenzeitung „Zeit-Fragen“ fest. Als wirtschaftliche Organisationsform der Selbsthilfe sei die Genossenschaft nicht nur eine bloße Rechtsform, sondern eine eigentliche Gesellschaftsform. Stets sei sie lokal verankert und eingebettet in das föderalistisch-subsidiäre politische System der Schweiz. „Die Genossenschafter entscheiden demokratisch über alle anfallenden Fragen, jeder hat eine Stimme“, so Roca. Der Zweck müsse immer dem naturrechtlich verankerten Gemeinwohl – dem Bonum comune – dienen.

Institutsdirektor Roca bezieht sich in dem Pressebeitrag insbesondere auf den Historiker Adolf Gasser. Für ihn sei die europäische Geschichte stark vom Gegensatz zweier verschiedener Gesinnungen geprägt: von Herrschaft und von Genossenschaft. Daraus ergäben sich zwei völlig unterschiedliche Welten – und zwar diejenige, des von oben her und das andere, des von unten aufgebauten Staatswesens. Das eine entspreche dem Universum der „Gemeindeunfreiheit“ und das andere dem der „Gemeindefreiheit“. Das kristallisiere Grasser in seinem 1947 erschienenen Hauptwerk „Gemeindefreiheit als Rettung Europas“ heraus. Bei dem Gegensatz Obrigkeitsstaat – Gesellschaftsstaat gehe es nämlich um die elementaren Grundlagen des menschlichen Gemeinschaftslebens.  Das genossenschaftliche Ordnungsprinzip führe zu einer kommunalen Gemeinschaftsethik. Dieses genossenschaftliche Prinzip gelte in der Schweiz nicht erst seit dem Jajhr 1848, sondern bilde schon seit Jahrhunderten einen festen Bestandteil der eidgenössischen Gesinnung. In der Schweiz genieße dieser Grundsatz nach wie vor großes Vertrauen. Das beweise die Tatsache, dass es gegenwärtig in der Schweiz mehr als 12.000 Genossenschaften gibt – Tendenz steigend. ++ (ge/mgn/13.06.14 – 163)

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