Archive für Beiträge mit Schlagwort: Jura

Leipzig, 29. Mai 2013 (ADN). Wenn nach der Friedlichen Revolution in der DDR eine Friedenskonferenz mit den ehemaligen Kriegsgegnern organisiert worden wäre, dann hätte fast die ganze Welt mit am Verhandlungstisch gesessen. Das erklärte der ehemalige bundesdeutsche Außenminister Hans-Dietrich Genscher am Mittwoch in Leipzig bei einer Feierstunde zur 20jährigen Wiederbegründung der juristischen Fakultät der ortsansässigen Universität. Zu den wenigen Staaten, die seinerzeit nicht in den Krieg gegen Deutschland eingetreten waren, habe Schweden, Island, Portugal, Spanien und Irland gehört. Als zusätzliche Belastung einer solch gigantischen Konferenz wäre unweigerlich die Reparationsfrage auf den Tisch gekommen. Um eine solche Mammut-Konferenz zu vermeiden, sei es für am zweckmäßigsten erachtet worden, nur mit den vier Hauptsiegermächten über eine Vereinigung von Deutscher Demokratischer Republik (DDR) und Bundesrepublik Deutschland (BRD) zu verhandeln. „Damit war ein Friedensvertrag obsolet“, erklärte der langjährige Chef der BRD-Außenpolitik. Er gab zu, dass das keine originelle Idee war, um die deutsche Einheit zu erreichen. Als besonders auffällige diplomatische Störung des Vereinigungsprozedere habe er das plötzliche Zusammentreten des Alliierten Kontrollrates am 11. Dezember 1989 in Berlin empfunden, nachdem dieses Macht-Gremium seit mehreren Jahrzehnten nicht mehr in Erscheinung getreten war. Gesprächsgegenstand an diesem Dezembertag sei die Frage der Überflugrechte im deutschen Luftraum gewesen. „Ich hielt das für völlig unzeitgemäß angesichts der Freiheitsrevolution in meiner Heimat“, erklärte Genscher, der im Jahr 1927 in der Nähe von Halle an der Saale geboren wurde und Ende der 40er Jahre an der Leipziger Universität Jura studierte. Das habe er auch unverblümt dem USA-Außenminister James Baker so mitgeteilt. Der legte daraufhin beruhigend die Hand auf meinen Unterarm mit der Bemerkung, verstanden zu haben, so der 85jährige bundesdeutsche Ex-Außenamtschef.

Genscher schilderte auch einige sehr kritische Momente der Verhandlungen während der sogenannten Zwei-plus-Vier-Gespräche. So habe noch am Morgen des 12. September 1990, an dem in Moskau der Vertrag unterzeichnet werden sollte, der britische Delegationsleiter und Premierministerin Margeret Thatcher unerwartete und von der Sowjetunion unannehmbare Forderungen gestellt. Die Briten hätten darauf bestanden, dass die westallierten Truppen auch auf dem ehemaligen-DDR-Territorium Manöver abhalten dürfen. Er habe dann einen Vermittlungsvorschlag aus dem Ärmel geschüttelt, dem schließlich UdSSR-Außenminister Eduard Schewardnadse zustimmte. Besondere Kalamitäten hätten auch die Konferenz-Sprachen und die jeweiligen Übersetzungen bereitet. So seien erhebliche Missverständnisse und auch Verwirrung im deutsch-russischen vokabular entstanden, um die juristischen Begriffe „Besitz und Eigentum“ auseinander zu halten. ++ (vk/mgn/29.05.13 – 143)

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Saint-Imier, 11. August 2012 (ADN). Im schweizerischen Saint-Imier geht an diesem Wochenende das Welttreffen der Anarchisten zu Ende. Rund 3.000 Anhänger aus der ganzen Welt sind in die Uhrmacher-Stadt im Jura gekommen, um insbesondere das 140. Gründungsjubiläum der Antiautoritären Internationale zu feiern. Sie wurde im September 1872 auf Initiative des Russen Michail Bakunin ins Leben gerufen, um einen Gegenpol zu der von Karl Marx entwickelten Theorie und dessen zentral gelenkter Internationaler Arbeiterassoziation zu bilden. Nach Auffassung der Anarchisten darf es dem Proletariat nicht um die Eroberung der politischen Macht gehen, sondern um deren Zerstörung. Deswegen gehören gegenseitige Hilfe, direkte Demokratie, Selbstverwaltung, Gewaltlosigkgeit, Bildung und Solidarität zu den zentralen Begriffen des Anarchismus. Das ist bis in die Gegenwart so, bekräftigt das Organisationskomitee des Weltkongresses.

Ähnlich große Veranstaltungen hatte es in der jüngeren Vergangenheit mit den „Libertären Tagen“ in den Jahren 1987 und 1993 in Frankfurt am Main gegeben. Besonders aktuelle Zusammenhänge und Bezüge lassen sich von anarchistischen Thesen zur heutigen Wirtschafts- und Finanzkrise herstellen. Einer der Mitorganisatoren und Vordenker des modernen Anarchismus, Aristid Pedraza, bezeichnete es als unumgängliches Credo, die Rückzahlung sämtlicher Schulden einzustellen.

Rechtzeitig zum Kongress  in Saint-Imier ist vor wenigen Wochen das Buch „Schulden. Die ersten 5.000 Jahre“ von David Graeber erschienen, das als wichtiger Impuls für die moderne anarchistische Bewegung gelten kann. Der 51jährige Wissenschaftler und Autor weist auf historische Lösungen für das Problem von Schuldenkrisen hin.  Schon vor Tausenden von Jahren habe es in Mesopotamien immer wieder periodische Schuldenerlässe gegeben. Sogar die Bibel verweise auf das sogenannte Ablassjahr alle sieben bis 49 Jahre. Die Schulden wurden gemacht, angehäuft, führten in die Krise und wurden schließlich erlassen. Dann habe alles wieder von vorne angefangen. Diese ursprüngliche Idee sei jahrtausendelang falsch verstanden worden. Ursache dessen sei der „Gründungsmythos der Wirtschaftswissenschaften“, ausgelöst von Adam Smith im Jahre 1776. Für ihn und die folgenden Ökonomen beginne die Geschichte des Geldes immer mit der Phantasievorstellung einer Welt des Tauschhandels mit Gütern.

Nach Auffassung von Graeber haben die Länder der Dritten Welt ihre Schulden längst drei- bis viermal zurückgezahlt, obwohl immer das Gegenteil behauptet wird. Er würde gerne den Gesamtbetrag kennen, der von Deutschland nach Griechenland geflossen ist und die Summe, die umgekehrt von Griechenland nach Deutschland überwiesen wurde. Graeber ist sich sicher, dass Griechenland mehr geliefert, als Deutschland jemals gezahlt hat.

Nach Angaben des Verlages Klett-Cotta ist Graeber einer der Begründer der Occupy-Bewegung, unterrichtete bis zu seiner Entlassung als Antrhopologe in Yale und lehrt seitdem am Goldsmith-College in London.  Er bezeichne sich selbst als Anarchist und lebte in einer direkte Demokratie praktizierenden Gemeinschaft auf Madagaskar. ++ (wi/mgn/11.08.12 – 230)

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