Archive für Beiträge mit Schlagwort: Lohndumping

Hamburg, 22. März 2014 (ADN). 377 Arbeitsgerichtsverfahren hatte die gewerkschaftliche Beratungsstelle für mobile europäische Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in den ersten 20 Monaten ihrer Existenz bis Januar dieses Jahres eingeleitet. Inzwischen dürfte es sich um mehr als 500 Klagen handeln. Dabei ging und geht es um ungerechtfertigte Kündigung, falsch abgerechneten Lohn oder gar nicht bezahltes Entgelt,  das von deutschen Unternehmen den von ihnen eingesetzten Wanderarbeiter verweigern. Darüber berichtete der Leiter der Einrichtung, Rüdiger Winter. Es sei die Spitze eines Eisberges an moderner Ausbeutung. Die meist aus Ost- und Mitteleuropa nach Deutschland kommenden Arbeitskräfte würden  oft als Sozialtouristen diffamiert. Diese Verleumdungskampagne hat nun am Donnerstag einen ganz besonders prominenten Impuls aus der Politik bekommen. Bundeskanzlerin Angela Merkel stimmte in der „Passauer Neuen Presse“ in den in dieser Art europafeindlichen Chor ein. Die EU sei keine Sozialunion. Und das behauptet sie, obwohl es seit über 50 Jahren sozialpolitische Prinzipien und Begünstigungen im Umgang mit Wanderarbeitern innerhalb der Europäischen Union gibt. Sogar die Gewerkschaften, die diesen neuen Beratungsservice in Norddeutschland initiiert haben, verhalten sich meist sehr zurückhaltend gegenüber derartigen Ausbeutungspraktiken ausländischer Arbeiter. Ihre Distanz begründen sie damit, dass die fremden Arbeitnehmer das Lohndumping von sich aus in Kauf nähmen.

Um welche immensen Summen und existenziellen Probleme es für die Betroffenen häufig geht, zeigt der Politikwissenschaftler Winter an einem Beispiel. Neun Polen, die für die Hotelreinigungsfirma Erdmann tätig waren, wurde der für diese Branche geltende gestzliche Mindestlohn von 8,82 Euro pro Stunde – später 9 Euro – vorenthalten. Sie wurden mit enormen Abzügen belegt und mussten außerdem für den ebenfalls vom Arbeitgeber gestellten Schlafplatz in Mehrbettzimmern zusätzlich  250 Euro pro Monat zahlen. Trotz Vollzeitbeschäftung bekam jeder von ihnen nur zwischen 400 bis 650 Euro monatlich. Sie klagten mit der Unterstützung der Hamburger Beratungsstelle erfolgreich insgesamt 40.000 Euro ein.

Von ähnlich krassen Schikanen sind neuerdings Rumänen und Bulgaren betroffen. Ihrer Arbeit in anderen EU-Mitgliedsländern steht seit kurzen kein arbeits- und europarechtliches Hindernis mehr im Wege. Dennoch werden sie – entgegen den Tatsachen – als Sozialschmarotzer abgestempelt. Bulgariens Botschafter in der Bundesrepublik Deutschland, Radi Naidenow, lehnt das Wort „Armutsmigranten“ für seine Landsleute schroff ab. 80 Prozent der Bulgaren, die in Deutschland leben, seien gut oder hoch qualifiziert.

Der Hamburger Historiker Dr. Lars Amenda weist darauf hin, dass solche Wellen von Wanderarbeiterschaft häufig über persönliche Netzwerke von Verwandten, Nachbarn oder Freunden ausgelöst werden. Das sei keinesfalls ein neues Phänomen. Ob Deutsche auf der Suche nach einem besseren Leben nach Amerika auswanderten oder ob Polen ins Ruhrgebiet kamen, sei oft über individuelle Mund-zu-Mund-Propaganda zustandegekommen. Zudem habe die Unternehmerschaft auch ihrerseits immer um Billigarbeit im Ausland gebuhlt. So waren um das Jahr 1900 herum von den 50.000 in der deutschen Handelsmarine Beschäftigten etwa 5.000 „farbige“ Seeleute. In asiatischen Häfen – vor allem in Hongkong – wurden vor allem chinesische und indische Seeleute angeworben.  ++ (so/mgn/22.05.14 – 141)

http://www.adn1946.wordpress.com, e-mail: adn1946@gmail.com, Redaktion: Matthias Günkel (mgn), adn-nachrichtenagentur, SMAD-Lizenz-Nr. 101 v. 10.10.46

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Leipzig/Göttingen/Bonn, 20. Mai 2014 (ADN).  8,50 Euro gesetzlicher Mindestlohn ab 2017 bedeuten im westeuropäischen Maßstab Lohndumping. In Irland gibt es 2014 schon 8,65 Euro, in Belgien 9,10 Euro, in Frankreich 9,53 Euro, den Niederlanden 9,74 Euro und in Luxemburg 11,10 Euro. Darüber wurde auf der Montagsdemonstration dieser Woche in Leipzig informiert. Deutschland, das derzeit wegen des Lohndumpings über die stärkste Wirtschaft Eurpoas verfügt, wolle mit  8, 50 Euro einen armseligen Kurs weiter verfolgen. Das ist das Fazit eines Organisationsbündnisses, zu dem das in Bonn ansässige Erwerbslosen Forum Deutschland gehört. Mit diesem gesetzlichen Mindestlohn könne jeder in Vollzeit beschäftigte Alleinstehende Hartz IV beantragen, wenn seine Warmmiete 358 Euro und mehr beträgt. In Großstädten sei die Warmmiete erheblich höher. Kinder und Familien könnten bei solcher Entlohnung ohnehin nicht leben.

Bereits das gegenwärtige Hartz-IV-Niveau wird von der Initiative, die sich auf dem Internet-Portal http://www.mindestlohn-10-euro.de präsentiert, als desaströs beschrieben. Auf einem in Leipzig verteilten Flugblatt heißt es dazu: „Mit seinen 4,56 Euro pro Tag für Essen und Trinken und 0, 66 Euro pro Tag für öffentliche Verkehrsmittel läuft es auf Mangelernährung und gesellschaftliche Isolation hinaus. Allein für gesunde Ernährung würde man 95 Euro monatlich mehr brauchen. Unsere Forderung von mindestens 500 Euro Eckregelsatz ist also sehr bescheiden.“

Zudem stehe die Frage im Raum, warum bei dem mickrigen, nunmehr als Existenzminimum geltenden Mindestlohn von 8, 50 Euro noch eine Lohnsteuer von 76 Euro erhoben wird. Der gesetzliche Mindestlohn müsse deutlich über dem Hartz-IV-Niveau eines Alleinstehenden liegen. Das Bündnis fordert deshalb beispielsweise einen gesetzlichen Mindestlohn von brutto zehn Euro und dessen Steuerfreiheit wie in Frankreich.  ++ (so/mgn/20.05.14 – 139)

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Bochum, 20. August 2012 (ADN).Die Einrichtungen der Diakonie weichen einer gerechten Leistungsvergütung ihrer Mitarbeiter aus, indem sie sich geschickt einer zersplitterten Tariflandschaft konfessioneller Arbeitgeber in der Bundesrepublik Deutschland bedienen. Notfalls flüchten sie zu den biblischen Formeln des selbstlosen Dienstes am Nächsten, um ihren Belegschaften die geringen Entgelte verständlich und schmackhaft zu machen. Das erklärte der Soziologe Norbert Wohlfahrt von der Evangelischen Fachhochschule RWL (Rheinland-Westfalen-Lippe) Bochum am heutigen Montag im Deutschlandfunk. Der Wissenschaftler hatte kürzlich eine Studie über die Arbeitsbedingungen und Einkommensverhältnisse der Beschäftigten in rund  300 diakonischen Einrichtungen vorgelegt. Zu den Haupterkenntnissen der Analyse gehört, dass durch systematisches Ausgründen von Service-Gesellschaften Lohndumping verursacht wird. Außerdem mangele es an einer wirksamen Arbeitnehmervertretung. Er bedauerte, dass die Gerichte, diesen sogenannten dritten Tarif-Weg bisher mit ihren Entscheidungen verteidigt haben. Dies sei nicht mehr haltbar, weil der soziale Dienstleistungssektor – ob unter konfessioneller Ägide osder nicht – eine eigene Logik habe.

Beispielhaft nannte Wohlfahrt eine große diakonische Einrichtung in Rheinland-Westfalen-Lippe, die Löhne und Entgelte in ihren Sozialunternehmen auf der Grundlage eines in Bayern angewandten Tarifvertrages zahlt. Dieser AVR-Bayern liege unterhalb des vom Dachverband der Evangelischen Kirche Deutschlands (EKD) vorgegebenen Niveaus. Solches Vertrags-Hopping trage zur Tarifzersplitterung bei und führe zu bestimmten Wettbewerbsvorteilen. Nach den Worten des Soziologen gibt es ein starres kirchliches Dienstrecht, das für 22 Landesverbände der Diakonie gilt und dennoch 16 unterschiedliche Vertragsrichtlinien umfasst. Das Diakonische Werk sperre sich generell gegen einen Mindestlohn von neun Euro pro Stunde, weil dem finanziellen Druck sonst nicht widerstanden werden könne.

Als Konsquenz aus der Untersuchung forderte Soziologe Wohlfahrt einheitliche Tarifbestimmungen sowohl für kirchliche Sozialeinrichtungen als auch für weltliche Fürsorge-Unternehmen. Darauf müssten die deutschen Sozialverbände hinwirken. Dem kirchlichen Selbstbestimmungsrecht tue das keinen Abbruch. ++ (sp/mgn/20.08.12 – 238)

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