Saint-Imier, 11. August 2012 (ADN). Im schweizerischen Saint-Imier geht an diesem Wochenende das Welttreffen der Anarchisten zu Ende. Rund 3.000 Anhänger aus der ganzen Welt sind in die Uhrmacher-Stadt im Jura gekommen, um insbesondere das 140. Gründungsjubiläum der Antiautoritären Internationale zu feiern. Sie wurde im September 1872 auf Initiative des Russen Michail Bakunin ins Leben gerufen, um einen Gegenpol zu der von Karl Marx entwickelten Theorie und dessen zentral gelenkter Internationaler Arbeiterassoziation zu bilden. Nach Auffassung der Anarchisten darf es dem Proletariat nicht um die Eroberung der politischen Macht gehen, sondern um deren Zerstörung. Deswegen gehören gegenseitige Hilfe, direkte Demokratie, Selbstverwaltung, Gewaltlosigkgeit, Bildung und Solidarität zu den zentralen Begriffen des Anarchismus. Das ist bis in die Gegenwart so, bekräftigt das Organisationskomitee des Weltkongresses.

Ähnlich große Veranstaltungen hatte es in der jüngeren Vergangenheit mit den „Libertären Tagen“ in den Jahren 1987 und 1993 in Frankfurt am Main gegeben. Besonders aktuelle Zusammenhänge und Bezüge lassen sich von anarchistischen Thesen zur heutigen Wirtschafts- und Finanzkrise herstellen. Einer der Mitorganisatoren und Vordenker des modernen Anarchismus, Aristid Pedraza, bezeichnete es als unumgängliches Credo, die Rückzahlung sämtlicher Schulden einzustellen.

Rechtzeitig zum Kongress  in Saint-Imier ist vor wenigen Wochen das Buch „Schulden. Die ersten 5.000 Jahre“ von David Graeber erschienen, das als wichtiger Impuls für die moderne anarchistische Bewegung gelten kann. Der 51jährige Wissenschaftler und Autor weist auf historische Lösungen für das Problem von Schuldenkrisen hin.  Schon vor Tausenden von Jahren habe es in Mesopotamien immer wieder periodische Schuldenerlässe gegeben. Sogar die Bibel verweise auf das sogenannte Ablassjahr alle sieben bis 49 Jahre. Die Schulden wurden gemacht, angehäuft, führten in die Krise und wurden schließlich erlassen. Dann habe alles wieder von vorne angefangen. Diese ursprüngliche Idee sei jahrtausendelang falsch verstanden worden. Ursache dessen sei der „Gründungsmythos der Wirtschaftswissenschaften“, ausgelöst von Adam Smith im Jahre 1776. Für ihn und die folgenden Ökonomen beginne die Geschichte des Geldes immer mit der Phantasievorstellung einer Welt des Tauschhandels mit Gütern.

Nach Auffassung von Graeber haben die Länder der Dritten Welt ihre Schulden längst drei- bis viermal zurückgezahlt, obwohl immer das Gegenteil behauptet wird. Er würde gerne den Gesamtbetrag kennen, der von Deutschland nach Griechenland geflossen ist und die Summe, die umgekehrt von Griechenland nach Deutschland überwiesen wurde. Graeber ist sich sicher, dass Griechenland mehr geliefert, als Deutschland jemals gezahlt hat.

Nach Angaben des Verlages Klett-Cotta ist Graeber einer der Begründer der Occupy-Bewegung, unterrichtete bis zu seiner Entlassung als Antrhopologe in Yale und lehrt seitdem am Goldsmith-College in London.  Er bezeichne sich selbst als Anarchist und lebte in einer direkte Demokratie praktizierenden Gemeinschaft auf Madagaskar. ++ (wi/mgn/11.08.12 – 230)

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