Quito/Zürich/Berlin, 15. Mai 2013 (ADN). Es geht darum in Würde zu leben, ohne nach immer mehr Reichtum zu streben. So umschreibt Ecuadors Präsident Rafael Correa in einem Interview von weltnetz.tv, das in der Schweizer Wochenzeitung „Zeit-Fragen“ abgdruckt ist, das in seinem Land praktizierte Konzept des „Guten Lebens“. Diese Strategie sei keine Erfindung seiner Regierung, sondern stamme von den Ureinwohnern Boliviens – der Volksgruppe Aymara – und den Angehörigen der Quichua in Ecuador. Dabei dominiere das Leben in Harmonie mit der Natur und mit den Mitmenschen. Aus dieser Position leite seine Regierung ihre Kritik am Konsummodell der westlichen Staaten ab.
Weil Lateinamerika in jüngster Vergangenheit schwer gelitten hat, ist Correa bei seinem kürzlichen Besuch in Berlin angesichts der gegenwärtigen schweren Euro-Krise um einige Ratschläge zur Krisenbewältigung gebeten worden. Die Ähnlichkeiten seien in der Tat beeindruckend, so der Präsident. Die Schuldenkrise rühre daher, dass das internationale Kapital Kredite geradezu aufzwinge und damit die ungeheuere Verschuldung auslöse. In Lateinamerika sei dieses überflüssige Geld der Finanzmärkte zudem an Diktaturen ohne jedwede soziale Kontrolle oder demokratische Legitimation gegangen. Dann sei der Internationale Währungsfonds (IWF) mit seinen sogenannten Hilfspaketen gekommen. Es ging dabei nicht um Krisenbewätigung, sondern um Rückzahlung der immensen Schulden. Deswegen habe sich die Problemlösung über zehn Jahre hinweggeschleppt. In Lateinamerika heiße diese Zeit das verlorene Jahrzehnt. „Ecuador etwa ist in die 90er Jahre mit demgleichen Pro-Kopf-Einkommen gestartet, wie es das Land schon 1976 verzeichnet hatte. Und all dies, weil die Interessen der Banken bedient und nicht die Interessen der Menschen beachtet wurden. Diesen Fehler sehen wir heute auch in Europa“, erklärte das Staatsoberhaupt. Deswegen gehe es darum, dass sich Europa um die politische Ökonomie Gedanken machen muss, nicht um technische Fragen. Die Herausforderung der Menschheit im 21. Jahrhundert bestehe darin, die Kontrolle über das Kapital zurückzuerlangen.
Correa sieht den zukunftsträchtigen Lösungsansatz in regionalen Bündnissen. „Was die Union südamerikanischer Staaten, die Unasur, seit ihrer Gründung 2008 vermocht hat, geht weit über die Entwicklung der Europäischen Union hinaus“, schätzt der ecuadorianische Spitzenpolitiker ein. Es werde eine neue regionale Finanzarchitektur diskutiert und aufgebaut. Dazu sei zu Beginn ein neues System der Kompensation im Handel entstanden.
Im Zusammenhang mit dem Wikileaks-Gründer Julian Assange, der unter dem Schirm der ecuadorianischen Botschaft in London dem Zugriff der britischen Polizei entzogen wurde, erklärte Correa: „Ein Verteidiger der Informations- und Pressefreiheit wählt ein Land als Zufluchtsort, das einigen Medien zufolge die freie Meinung einschränkt. Julian Assange wird weiter unter dem Schutz des ecuadorianischen Staates bleiben, den wir ihm in Ausübung unseres souveränen Rechtes gewährt haben. Die Lösung dieses Falls liegt in den Händen Europas.“ Bevor ihm Asyl gewährt wurde, habe man die einschlägigen völkerrechtlichen Bestimmungen eingehend studiert. Die lateinamerikanischen Staaten hätten alle denkbaren Abkommen unterzeichnet. „Aber die Länder, die am meisten über die Menschenrechte reden, haben nichts unterzeichnet. Das ist also ein hohler Diskurs, dem keine Taten folgen, weil die entsprechenden Bestimmungen dann ja bindend wären. Wir sehen hier eine enorme doppelte Moral,“ kritisiert der Präsident abschließend. ++ (mr/mgn/15.05.13 – 129)