Leipzig/Frankfurt am Main, 5. November 2011 (ADN). „Rettet die Würde der Demokratie“. So titelte die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ (FAZ) am heutigen Sonnabend einen Beitrag von Jürgen Habermas. Der Beitrag des Philosophen ist eine direkte Antwort auf einen drei Tage zuvor in demselben Blatt erschienenen Artikel. Frank Schirrmacher hatte ihn überschrieben mit „Demokratie ist Ramsch“. Beide – Habermas und Schirrmacher – plädieren leidenschaftlich für den hellen Moment des griechischen Ministerpräsidenten Georgios Papandreou, in dem er den einfachen Satz vor dem Parlament in Athen ausspricht: „Der Wille des Volkes ist bindend“. Lehne das Volk die neue Vereinbarung Griechenlands mit der EU ab, werde sie nicht verabschiedet. Unmittelbar nach Verkündung dieser einfachen Wahrheit, die das Fundament eines demokratischen Rechtsstaates bildet, setzte in den Regierungszentralen Europas ein infernalisches und wildes Geheul ein. An der Spitze jaulten die Leitwölfe Angela Merkel aus der Bundesrepublik Deutschland und Nicolas Sarkozy aus der Französischen Republik. Das sind die höchsten Repräsentanten der organisatorischen Gebilde, die sich allorten auf der Welt als Demokratien reinsten Wassers darstellen und anderen Ländern wie Oberlehrer das richtige Funktionieren einer Volksherrschaft erklären. Die halten sie allerdings plötzlich und unerwartet für allgemeingefährlich, so Schirrmacher.
Wer das Volk fragt, wird zur Bedrohung Europas, so der FAZ-Herausgeber. Das sei die Botschaft der Märkte und seit 24 Stunden auch der Politik. Nach seinen Worten erleben wir den Kurssturz des Republikanischen. Er schreibt: „Sieht man denn nicht, dass wir jetzt Ratingagenturen, Analysten oder irgendwelchen Bankenverbänden die Bewertung demokratischer Prozesse überlassen ? Sie alle wurden in den letzten 24 Stunden befragt und bestürmt, als hätten sie irgendwas dazu zu sagen, dass die Griechen über ihre Zuikunft selbst abstimmen wollen.“ Schirrmacher identifiziert die Hysterie gegen das Anwenden grundlegender demokratischer Regeln als einen pathologischen Befund. „Entsetzen in Deutschland, Finnland, Frankreich, sogar in England. Entsetzen bei den Finanzmärkten und Banken, Entsetzen, weil der griechische Ministerpäräsident Georgios Papandreou eine Volksabstimmung zu einer Schicksalsfrage seines Landes plant.
Inzwischen ist Papandreou eingeknickt, der Moment der Wahrheit vorbei. Sie wird wieder vom Nebel des Pallavers der von den Lobbyisten beherrschten Mächtigen umwabert. Dennoch war die nur wenige Stunden währende Demaskierung des europäischen Demokratie-Theaters, das nicht nur dem griechischen Volk vorgegaukelt wird, von historischer Dimension. Wache Bürger haben begriffen, dass längst dringernder Handlungsbedarf besteht und zwar von unten, von der Basis. Die Original-Lektüre der „alten Griechen“ zur Demokratie wie Sokrates, Platon und Aristoteles und der politischen Praktiker wie Solon, Kleisthenes und Perikles lohnt sich immer wieder und ist antuell wie nie zuvor.
Nach den Worten von Habermas ist Papandreou aber nicht nur lehrreich in der Rolle als tragischer Held. „Als der Machttaktiker, der den politisch-kriminellen Machenschaften einer gewissenlosen Opposition das Wasser abgraben wollte, hat er , kaum eine Woche nach der vermeintlich großen Lösung, die Unberechenbarkeit einer zerrissenen Europäischen Union bloßgestellt.“ Drastischer habe der Schamfleck einer Währungsgemeinschaft ohne Politische Union, die fehlende supranationale Handlungsfähigkeit nicht ausgeleuchtet werden können. ++ (dr/mgn/05.11.11 – 16)