Archive für Beiträge mit Schlagwort: Sprengstoff

München/Karlsruhe, 12. Februar 2014 (ADN). Die Bundesversammlung gerät ins Visier der Verfassungsrichter in Karlsruhe. Über Hintergründe berichtete die „Süddeutsche Zeitung“ am Mittwoch. Die Hüter des Grundgesetzes sind nicht selbst auf die Idee gekommen, dieses Gremium und seine Tätigkeit unter die juristische Lupe zu legen, sondern den Anstoß hat eine rechtsextreme Partei gegeben. Die Nationaldemokratische Partei (NPD) nimmt das nur für die Wahl eines Bundespräsidenten zuständige mehr als 1.000 Personen zählende Völkchen aufs Korn und stellt ihren Wahlmodus in Frage. Er sei verfassungswidrig. Zur allgemeinen Überraschung stellt selbst Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle fest, dass es sich bei diesem Thema um „einen weißen Fleck auf der verfassungsrechtlichen Landkarte“ handelt.  Seit den fast 65 Jahren der Bundesrepublik Deutschland (BRD) ist es ihren geistigen Eliten – darunter Tausende hochqualifizierte Juristen – entgangen, dass es keinen Wahlprüfungsausschuss für das Agieren der Bundesversammlung gibt. Erst ein frisch examinierter Absolvent der Jurisprudenz, den die NPD in Dienst gestellt hat, bringt diesen Stein ins Rollen und müsste damit eigentlich eine konstitutionelle Lawine auslösen. Allerdings tritt dem Bericht zufolge der Präsident des Bundesverfassungsgerichts (BVG) präventiv entgegen. Eine richterliche Kontrolle könne zwar grundsätzlich erlaubt sein, dürfte sich jedoch nur auf „evidente Verfahrensverstöße“ beschränken.

Unter der Oberfläche schlummernde Mängel sollen also unbeachtet bleiben. Die Karlsruher Richter nehmen damit das Risiko in Kauf, dass juristische Pestbeulen unverhofft aufplatzen können. Dass dieser Sprengstoff gerade juristische Grundfesten der bundesdeutschen Verwaltungsgemeinschaft erschüttern könnte, wirkt beängstigend. Allerdings ist eine unitäre Explosionsgefahr und der einem zusammenstürzenden Kartenhaus vergleichbare Vorgang nicht zu befürchten, denn der ehrgeizige NPD-Jurist setzt offenbar auf eine allmähliche Zermürbungsstrategie. Weitere rechtliche Tretminen sind in Sichtweite: Auf Betreiben des rechten Advokaten verhandelt der Zweite BVG-Senat in zwei Wochen über den Wahrheitsgehalt einer Äußerung von Bundespräsident Joachim Gauck. Er soll dazu aufgefordert haben, „auf die Straße zu gehen und den Spinnern ihre Grenzen aufzuweisen.“ Zu erwarten ist ein weiteres Verfahren, in dem es um die stornierte Auszahlung von 300.000 Euro an die NPD durch den Bundestagspräsidenten geht. Das setzt die Gewährung von Prozesskostenhilfe (PKH) an die Partei voraus, die derzeit finanziell mehr als klamm ist.  ++ (dk/mgn/12.02.14 – 043)

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Rio de Janeiro, 25. September 2013 (ADN). Die in Rio de Janeiro seit einigen Monaten eingesetzte Friedenspolizei soll dafür sorgen, dass die sogenannten Favelas zur Ruhe kommen. In den als kriminell verseucht geltenden Armenvierteln, die für Drogenhandel, Prostitution, Mord und Totschlag berüchtigt sind, sind erste Ansätze eines zivilen und harmonisierten gesellschaftlichen Lebens erkennbar. Dennoch bleiben zwei Drittel dieser Krisen-Stadtviertel, die zum Teil bis unmittelbar an die Copacabana heranreichen, Aktionsfelder der Gesetzlosigkeit. Drogenbossen und ihren Atlaten das Handwerk zu legen und zumindest den Anschein von Gewaltfreiheit zu erwecken, darin besteht die Aufgabe der Friedenspolizisten. In diesem Umfeld keimen sogar bemerkenswerte Pflanzen zivilisatorischer und kultureller Güte: ein ehemaliges Model hat einen gutgehenden Modeladen eröffnet und es gibt neuerdings ein kleines Restaurant, in dem landestypische Kost angeboten wird. Das zieht inzwischen sogar Touristen an, die sonst die Favelas ängstlich mieden. Auch Prominente geben sich ein Stelldichein. Jüngst war Joachim Gauck bei einem Staatsbesuch in Brasilien in einem solch befriedeten Terrain und zeigte sich höchst entzückt.

Die Bemühungen der brasilianischen Regierung und der Kommunalbehörden um Harmonie in den Armenvierteln sind vor allem darauf gerichtet, im Vorfeld der Fußball-Weltmeisterschaft im nächsten Jahr und der Olympischen Spiele im Jahr 2016 der Außenwelt die Furcht vor den negativen Begleiterscheinungen der Großereignisse zu nehmen. Deshalb werden diverse Werbe- und PR-Kampagnen gestartet, um den Tourismus anzukurbeln und der Welt ein weniger brutales Bild über die Situation in den Armenvierteln zu zeichnen. Neugierde erwecken dürfte deshalb ein Film der brasilianischen Autorin Maria Ramos, in dem bislang unbekanntes Favela-Leben dargestellt wird. Sie zeigt ehemalige Drogensealer und Polizisten, die in schussicheren Westen durch die Gassen gehen und freundlichen Umgang mit den Bewohnern pflegen. Im Zentrum des 90-Minuten-Streifens steht die befriedete Favela Pvao-Pavaozinho, gleich nebenan zu dem berühmten Ansichtskarten-Strand von Rio. Die gerade gegründete Friedenspolizei UPP soll weniger korrupt und weniger rücksichtslos sein als bisher die Militärpolizei. Die Parole lautet: miteinander sprechen, nicht aufeinander schießen.

Ramos ergreift nicht Partei, weder für die Bewohner noch für die Polizei. Sie schildert in dem Film mit dem Titel „Hill of Pleasures“, der demnächst auf der Leipziger Dokumentarfilmwoche gezeigt wird, den beginnenden Aussöhnungsprozess zwischen den langjährigen Kontrahenten. Berichtet wird auch über das Entstehen neuen, lautlosen sozialen Sprengstoffs: In den Wohngebieten, wo die Friedenspolizei Oberwasser gewonnen hat, steigen die Mieten. Der Ausleseprozess zwischen Arm und Reich nimmt andere Formen an. So wie in Europa und den dortigen Metropolen. ++ (vk/mgn/25.09.13 – 262)

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Rom/Leipzig, 20. März 2013 (ADN). Zwei Clowns nannte SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück die Führungsfiguren der italienischen Parlamentswahlen. Bei Silvio Berlusconi aus Mailand könnte es zutreffen, denn seine politischen, wirtschaftlichen und juristischen Eskapaden sind seit Jahrzehnten nördlich der Alpen hinlänglich bekannt. Über den Genuesen Beppe Grillo, der mit seinem Bündnis M5S der eigentliche Wahlsieger ist, weiß man so gut wie nichts. Sein Programm kennt bis zum heutigen Tag insbesondere in Deutschland kaum jemand, obwohl es an Detailreichtum und Umfang nichts zu wünschen übrig lässt. So bleibt den Deutschen das Wahlverhalten der Italiener rätselhaft und Grillos Plan ein Geheimnis. Es gibt nur wenige Ausnahmen. So zitierte die „Süddeutsche Zeitung“ vor drei Wochen den Komiker mit den geradezu explosiven Sätzen gegenüber Pressevertretern: „Ihr kapiert immer noch nicht. Wir befinden uns in einem epochalen Kulturwandel der Politik. Die Bürger übernehmen den Staat, sie brauchen keine Repräsentanten. Das bisherige System ist bereits zusammengebrochen.“

Das ist blanke Demokratie und wäre – übertragen auf die Bundesrepublik Deutschland (BRD) – lupenreine Kongruenz mit dem Artikel 20 des Grundgesetzes (GG). „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus“, heißt es darin. Wenn das auch in deutschen Landen gemäß Grundgesetz Schule macht – und zwar angesichts der noch verbleibenden sechs Monate bis zur Bundestagswahl – würde eine Flutwelle den starren bundesdeutschen Parteien- und Machtapparat hinwegschwemmen. Deswegen muss das politische Programm von Beppe Grillo auf deutschem Terrain „Geheime Verschluss-Sache“ bleiben.

Teil dieses italienischen Plans ist es übrigens, das bedingungslose Grundeinkommen (BGE) einzuführen. In Deutschland, wo die Schere zwischen Arm und Reich – wie andernorts in Europa – immer weiter auseinandergeht, wäre das für die politischen und wirtschaftlichen Führungsschichten eine soziale Kriegserklärung und enormer Sprengstoff. Es ist mit der Abschaffung des menschenunwürdigen Hartz-IV-Systems und der anderen diskriminierenden Arbeitsvertragsverhältnisse gleichzusetzen. Dergleichen Regeln gibt es nämlich auch in Italien. Dort heißen diese Gesetze „Legge Biagi“. Dahinter stehen übersetzt die Stichworte Teilzeitarbeit, Projektarbeit, Arbeit auf Abruf und befristete Arbeitsverträge. Das versteht auch jeder Deutsche ohne Fremdsprachen-Kenntnisse. Deswegen darf der Grillo-Plan nicht aus dem Panzerschrank genommen werden. Das tut der deutsche Michel – gehorsam, unterwürfig und vorsichtig, wie er eben ist – auch nicht, egal, ob er zu einer Partei, einer Gewerkschaft, einer Unternehmerorganisation oder einem der Pressefreiheit unterworfenen Medienverlag gehört. ++ (so/mgn/20.03.13 – 074)

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