Leipzig/Mexiko-Stadt/Peking, 30. August 2012 (ADN). Die trüben politischen und juristischen Verhältnisse in Lateinamerika ließen vor einigen Jahrzehnten den Begriff Bananenrepublik entstehen. In einem solchem Gebiet gehört die Verletzung von Menschenrechten zum Alltag. Einer der schwersten Menschenrechtsverstöße ist das Verschwindenlassen von Personen. Auf einem Kongress im Jahr 1981 in Costa Rica wurde der heutige 30. August zum Internationalen Tag der Verschwundenen erklärt. Das Verschwindenlassen ist im Rahmen des 2002 in Kraft getretenen Rom-Statuts als Verbrechen gegen die Menschlichkeit definiert worden. Neben lateinamerikanischen Staaten wie Kolumbien, Honduras und Mexiko, wo beispielsweise die meisten Journalisten vermisst sind, werden häufig weitere sogenannte Entwicklungsländer genannt, in denen es nicht gut bestellt ist um das Einhalten von Menschenrechten. Auch Russland und China, wo im vergangenen Jahr der regimekritische Künstler Ai Weiwei längere Zeit verschwunden war, stehen häufig am Pranger von Menschenrechtsorganisationen.

Ausgespart oder gar nicht erst analysiert werden die sogenannten westlichen Industriestaaten, obwohl sich dort immer häufiger Phänomene einer Bananenrepublik registrieren lassen. Das gilt auch für die Bundesrepublik Deutschland (BRD).  Ein beweiskräftiges Beispiel dafür liefert ein genauer Blick auf die Informationsvitrine des Amtsgerichts Leipzig. Am „Schwarzen Brett“ wird bekanntgegeben, wieviele Leute gegenwärtig nicht mehr auffindbar sind. Gegenwärtig sind es rund 40 Bürger aus Leipzig oder der Umgebung der Stadt. Unter den verwaltungstechnischen Fachtermini „Letzte bekannte Anschrift“ oder „Benachrichtigung über öffentliche Zustellung“ gibt die Justiz zu, dass die ortsansässsigen Bürokratien und Behörden die Verbindung zu diesen Menschen verloren, sie sogar zielgerichtet abgebrochen oder die Betroffenen gezwungen haben, ihren angestammten Wohnort zu verlassen. Dabei wird das Verb Vertreiben tunlichst vermieden. In vielen Fällen werden die Bewohner „von Amts wegen“ ohne eigenes Zutun abgemeldet.

Wie Menschen auf deutschem Territoriorium ohne Aufsehen und ohne Öffentlichkeit schnell und geräuschlos verschwinden, zeigt ein aktuelles Beispiel aus der Stadt der friedlichen Revolution Leipzig. Von der örtlichen Staatsanwaltschaft wurde kurzerhand – unter Umgehung sämtlicher Rechtsvorschriften – ein Haftbefehl ausgestellt, von einem gar nicht unterschriftsberechtigten Justizangestellten per Häkchen versehen und der Polizei zur Vollstreckung übergeben. Dabei machte die Anklagebehörde mehr als kurzen Prozess – nämlich gar keinen – und ignorierte das Amtsgericht einfach. Der betroffene Bürger und Journalist verschwand hinter Gittern. Seinen Rechtsbeistand, Familienangehörige und enge Freunde zu informieren, wurde ihm verwehrt.  Für den eigentlichen Anlass, ein noch nicht abgeschlossenes Ordungswidrigkeitsverfahren, das sich auf dem Weg der Rechtsinstanzen gerade beim Bundesgerichtshof (BGH) befindet – interessierte sich kein einziger der Polizei- und Justizmitarbeiter. Genauso wenig dafür, dass es sich bei dem Prozedere um eine schwere Missachtung der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) handelt.

Hochgerechnet auf die 656 bundesdeutschen Amtsgerichte dürften die rund drei Dutzend Betroffenen von der Leipziger Gerichtstafel eine Zahl zwischen 20.000 und 30.000 inzwischen spurlos von der Bildfläche Verschwundener erreichen. Das verdeutlicht die Misere in Sachen Menschenrechte in der Bundesrepublik nur in schwachen Konturen, denn die Dunkelziffer dürfte viel höher liegen. Genaueres ist aber nicht festzustellen, weil die ansonsten akribisch tätigen bundesdeutschen Statistik-Ämter sich mit humanitär-ethischen Kennzahlen sehr schwer tun. 

Wesentlich gründlicher dagegen werden Menschenrechts-Statistiken , die sich auf das Ausland beziehen, vom bundesdeutschen Politik-Personal mit Argus-Augen gesucht, erfasst und interpretiert. Das tut gerade auch Angela Merkel und die Mitglieder ihrer Regierungsdelegation in China, wo das Thema Menschenrechte obligatorisch auf der Tagesordnung steht. Ob es tatsächlich dann ernsthaft debattiert wird, steht jedoch in den Sternen, denn allein zum Auftakt wurden 18 Akommen über wirtschaftliche, wissenschaftliche und sonstige Kooperation geschlossen. Allein das der Luftfahrtindustrie wiegt 3,5 Milliarden Dollar. Sanktionen wegen verletzter Menschenrechte sind dem kaum entgegenzusetzen. Deshalb werden sie zwar formell auf das Gesprächsprogramm gesetzt, bleiben jedoch lediglich  Beruhigungspillen mit Placebo-Effekt.

Viel wichtiger als Menschenrechtsfragen und Pressefreiheit sind die Wirtschaftsbeziehungen, brachte heute der Vorsitzende der Deutsch-Chinesischen Parlamentariergruppe, Johannes Pflug, im Rundfunk zum Ausdruck. Es gehe vor allem darum, dass Investitions- und Planungssicherheit für die deutsche Wirtschaft in China erreicht wird. Zudem sollen die Chinesen in Deutschland investieren. ++ (mr/mgn/30.08.12 – 247) 

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