Berlin, 23. Dezember 2011 (ADN). „Alle hoffen, dass es keine weiteren grenzwertigen Vorgänge geben wird“. Mit diesen Worten schließt ARD-Hauptstadtkorrespondent Ulrich Deppendorf seinen Kommentar am Donnerstagabend in der causa Bundespräsident Wulff.

Der Fersehjournalist saß selbst im Zuschauerraum des „Staatstheaters Schloß Bellevue“, als Hauptdarsteller Christian Wulff  gleich zu Beginn seines rund zehn Minuten dauernden Auftritts mitteilte: „Nicht alles, was juristisch rechtens, ist auch richtig“.  Die in der ARD erwähnten Täuschungsvorgänge wurden nicht explizit genannt, obwohl deren Zahl mit etwa einem halben Dutzend derzeit noch überschaubar ist und würden – in angemessener Kürze beschrieben – auf eine Buchseite passen. Unausgesprochen steht jedoch im Raum, dass auf dem Sektor moderner Rosstäuscherei noch sehr, sehr viel mehr denkbar ist. Über 100 Seiten zählte immerhin eine bereits im Jahr 1822 publizierte diesbezügliche Schrift. Unter dem Titel „Die geheimen Künste der Rosstäuscher“ wird eine Unmenge von Ratschlägen für Feilscher und Trickser offenbart, um mit abgehalfterten Gäulen viel Geld zu ergaunern. Danach war für den Rosstäuscher wichtig, dass er auch „Menschenkenntnis, Lebensumgang und kluges Benehmen im Allgemeinen“ mit sich bringt.  Solche Eigenschaften hat Christian Wulff zu bieten.  In der heutigen Zeit – so schreibt ein Internetportal – wird der Begriff Rosstäuscher auf viele Arten des Betrugs durch Schönfärberei, Kaschieren von Makeln und gezieltes Weglassen von Informationen angewendet.  Gerade auf Letzteres verstehen sich die Rosstäuscher von der Leine besonders gut, wie der jüngste Fall des aus Hannover (Leine) nach Berlin (Spree) versetzten Präsidenten beweist.

Dass solche Experten auch in anderer Hinsicht von der Leine gelassen sind und das Rosstäuschen zu einem Massensport gemacht haben, ist kaum zu übersehen. Die Zeitung „Der Tagesspiegel“ aus Berlin hat deshalb vor rund zweieinhalb Jahren eine zehnteilige Artikelserie „Vergessene Berufe“ veröffentlicht. Der erste Beitrag war – offenbar wegen der wiedergewonnenen Aktualität – den Rosstäuschern gewidmet. Dieser Beruf hatte vor vielen Jahrzehnten bereits Hochkonjunktur und fand sogar literarisch reges Echo. Die Schriftsteller Annette von Droste-Hülshoff aus dem Münsterland und der Wiener Emil Scholl schrieben Werke unter demselben Namen „Der Roßtäuscher“. Und das Werk Heinrich von Kleists, der in „Michael Kohlhaas“ den nichtlösbaren Konflikt des ehrlichen Pferdehändlers mit der Justiz schilderte und dessen 200. Todesjahr in wenigen Tagen endet,  findet einen überraschenden und  turbulenten Aufgalopp.

Trotz des mafiösen Potenzials des neuerwachten Sports hat die Bundesrepublik Deutschland dafür keine gesetzlichen Gegenmittel ergriffen. Ganz anders die Österreicher. Sie haben schon im Jahr 2002 ein neues Gewährleistungsrecht in Kraft gesetzt. Ob ein Rosstäuscher für ein krankes Pferd haftet, ist sogar in einer eigenen Verordnung  geregelt. „Stellt der Käufer innerhalb von 14 Tagen die Dämpfigkeit oder den Dummkoller fest, gilt die in der Praxis schwer widerlegbare Vermutung, dass der Gaul bereits beim Verkauf krank war. Würde das auf deutschem Territorium gelten, könnte der gegenwärtige Bewohner im  Schloß Bellevue von Berlin nach Hannover problemlos zurückdelegiert werden – Schadenersatz eingeschlossen.  ++ (kr/mgn/23.12.11 – 40)

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