Archive für Beiträge mit Schlagwort: Warschau

Berlin, 12. Dezember 2012 (ADN).  Rentenansprüche aus Ghetto-Arbeit standen am Mittwoch im Bundestagsausschuss für Arbeit und Soziales zur Diskussion. Zwölf Experten gaben bei der öffentlichen Anhörung ihre Sachkommentare zu Rentenansprüchen ab, die bei der Beschäftigung und Arbeit in Ghettos während der nationalsozialistischen Zeit entstanden sind. Anlass der Sitzung waren Anträge von drei Oppositionsparteien, die auf die rückwirkende Auszahlung solcher Renten ab dem Jahr 1997 hinauslaufen. Das verweigerten die damit befassten Bundesregierungen bislang weitgehend. Hintergrund ist, das das Bundessozialgericht 23.818 Holocaust-Überlebenden im Jahr 2009 einen Rentenanspruch zuerkannt hat. Wie es in einer Parlamentskorrespondenz des Deutschen Bundestages weiter heißt, haben die Anspruchsteller entsprechende Zahlungen erst ab dem Jahr 2005 bekommen, obwohl das vor zehn Jahren verabschiedete „Gesetz zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto“ (GZRBG) eine Geldauskehr ab 1997 vorsieht. Die Ausrede der Bundesregierung für ihre Verweigerungshaltung lautet, das Sozialrecht beinhalte ein maximale Rückwirkung von vier Jahren.

Der Vertreter des Center of Organization of Holocaust Survival in Israel, Uri Chanoch, berichtete zu Beginn der Ausschuss-Sitzung über seine Erfahrungen im Ghetto. Es habe sich nicht um Zwangsarbeit gehandelt, denn „wir wollten arbeiten“. Diese Unterscheidung ist maßgeblich, weil nach bundesdeutschem Recht Rentenansprüche nur durch freiwillige Arbeit entstehen.  Deswegen ist auch eine rentenrechtliche Lösung der Vorrang vor einer Entschädigungsleistung zu geben, erklärte der Sozialrichter Jan-Robert von Renesse aus Essen. Diese Variante ist nach Auffassung des Einzelsachverständigen auch die am wenigsten aufwendige.

Die Vertreter der Deutschen Rentenversicherung, Christoph Skipka und Franz Ruland, beharrten jedoch auf Einmalzahlungen als Entschädigung, die an das Lebensalter gekoppelt ist. Ähnlich äußerte sich ein Vertreter des Bundes Deutscher Sozialrichter.

Der Historiker Stephan Lehnstaedt vom Deutschen Historischen Institut Warschau sieht den Grund für die restriktive Haltung des bundesdeutschen Gesetzgebers und der Versicherung in geschichtlicher Unkenntnis und finanziellen Engpässen. In einem Rundfunkinterview bemängelte er, dass die zuständigen Verantwortlichen der Rentenversicherung nur acht Bücher zu dem Problemkreis gelesen haben und damit glauben, genug über das Funktionieren von Ghetto-Arbeit zu wissen. Zudem seien sie lange von einer Bestandszahl von 400 Ghettos in Osteuropa ausgegangen. Die mit der Materie befassten Historiker, die im Übrigen nie von den Rentenversicherern zu Rate gezogen worden sind, hätten in diesem Bereich die Existenz von 1.150 Ghettos – also fast die dreifache Zahl – nachgewiesen. Lehnstaedt bezifferte die Zahl der bis etwa 2005 eingegangenen Renten-Anträge auf etwa 70.000. Nach dieser ersten Runde seien in den vergangenen zehn Jahren noch einmal bis zu 15.000 Anträge dazu gekommen.  Dabei gehe es jeweils um eine monatliche Rentenzahlung zwischen 150 und 200 Euro.

Inzwischen gewinnt der Konflikt eine auffällige internationale Dimension, denn Betroffene haben eine Sammelklage in den Vereinigten Staaten von Amerika (USA) angekündigt. ++ (zw/mgn/12.12.12 – 351)

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Berlin, 8. März 2012 (ADN). Die Polin Barbara Rybeczko-Tarnowiecka trat im September 1944 eine lange Reise an. Nicht freiwillig, sondern unter Zwang wurde das damals minderjährige Warschauer Mädchen in Viehwaggons aus ihrer Heimatstadt nach Breslau gebracht, um dann innerhalb von vier Tagen über die Stationen Erfurt und Jena in die thüringische Gemeinde Tautenburg im heutigen Saale-Holzland-Kreis bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges zu verbringen. Als Zwangsarbeiterin arbeitete sie in einem Gasthaus als Dienstmädchen arbeiten. Darüber berichtete die bescheidene Frau, die vor dem Abtransport nach Deutschland zu Hause den Einmarsch der Wehrmacht und den Warschauer Aufstand durchmachte, am Mittwochabend bei einer Veranstaltung unter dem Titel „Zwangsarbeit war weiblich“ in der Landesvertretung Sachsens in Berlin.

Barbara Rybeczko-Tarnowiecka war eine der rund 1,7 Millionen polnischen Zwangsarbeiterinnen, die von den deutschen Machthabern zur Arbeit verpflichtet  und mit der vor genau 70 Jahren – am 8. März 1942 – in Kraft gesetzten Polizeiverordnung zum Einsatz polnischer Arbeiter/Innen zusätzlich gedemütigt wurden. Über deren Schicksal sowie ihrer Leidensgenossinnen aus der Sowjetunion, Frankreich und anderen europäischen Ländern berichtete die Historikerin Dr. Ulrike Goeken-Haidl. 50 Prozent aller Zwangsarbeiter kamen aus der Sowjetunion, 25 Prozent aus Polen. Sie standen am untersten Rand der sozislen Skala. Mehr als die Hälfte der Millionen verschleppten Zwangsarbeiter aus Polen und der Sowjetunion waren junge Frauen und Mädchen unter 20 Jahren, so die Nürnberger Wissenschaftlerin.

Günter Saathoff vom Vorstand der Stiftung „Erinnerung – Verantwortung – Zukunft“ betonte, dass das damals in Deutschland und Europa begangene Unrecht auch heute noch als Unrecht zu bewerten ist. Im Übrigen müssten für Gegenwart und Zukunft daraus die notwendigen Konsequenzen gezogen werden.  Insofern seien dieser und andere Termine der von seiner Einrichtung organisierten Veranstaltungsreihe „Opfer des deutschen Vernichtungskrieges im Osten“ alles andere als historische Seminare. ++ (zg/mgn/08.03.12 – 71)