Madrid, 13. November 2012 (ADN). Rund 400.000 Wohnungen sind in Spanien seit 2008 zwangsgeräumt worden. Die Bewohner können aufgrund ihrer prekären Lebenssituation und ihrer miserablen, durch die Wirtschaftskrise ausgelösten Finanzlage aufgenommene Kredite nicht an die Banken zurückzahlen. Der Sprecher der Juristischen Vereinigung JpD (Juristen für Demokratie), Joaquim Bosch, schätzt, dass täglich etwa 500 Wohnungen in Spanien zwangsweise geräumt werden. Hunderttausende von Menschen verlören auf diese Weise ihr Heim. Die Problematik habe alarmiernde Dimensionen angenommen. Betroffen seien auch alte Leute, Behinderte und Familien mit Kindern. Zudem hat das rigorose Vorgehen eine Welle von Selbstmorden ausgelöst. Jüngster Suizid ist der einer ehemaligen sozialistischen Politikerin, die sich angesichts des anrückenden Räumungskommandos und des Gerichtsvollziehers aus dem Fenster in den Tod stürzte.
Als rechtliche Grundlage für das brutale Vorgehen benutzen die Kreditinstitute ein Gesetz aus dem Jahr 1909, das in einer Studie der Justizverwaltung als veraltet qualifiziert wurde. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) bestätigte diesen Befund. Das betreffende spanische Gesetz sei unvereinbar mit dem heutigen Verständnis von Menschenwürde.
Inzwischen wächst der Widerstand in der Bevölkerung und bei kommunalen Behörden. Bürger haben sich zu Initiativen wie „Stoppt Zwangsräumungen“ und die Plattform PAH zusammengeschlossen. Sie tauchen vor den zur Räumung anstehenden Wohnungen auf und protestieren dagegen massiv. Die Polizeigewerkschaft SUP sagte allen Beamten, die eine Teilnahme an Zwangsräumungen verweigerten, juristischen Beistand zu. Auch Richter und Staatsanwälte wenden sich gegen die Zwangsräumungspraxis der Geldhäuser. Der Vorwurf des Richterverbandes APM lautet: „Die Geldinstitute haben die Gerichte zu ihren Inkasso-Büros gemacht.“
Ein besonders eindrucksvolles Beispiel, die Banken Mores zu lehren, lieferte der Bürgermeister von Santa Cruz auf Teneriffa, Jose Manuel Bermudez. Er forderte angesichts einer zwangsgräumten zweifachen Mutter, die seit Monaten vor den Glashallen der Bankia-Bank campierte und für erträgliche Kreditkonditionen demonstrierte, ein Gespräch mit den Bankvertretern. Diese reagierten darauf überhaupt nicht. Deshalb hob das Stadtoberhaupt kurzerhand das Gesamtguthaben der Kommune in Höhe von 1,5 Millionen Euro von der Bank ab und entzog den Finanzmanagern die Verantwortung dafür. Erst dieser drastische Schritt bewog die Banker zu einem Sinneswandel. Sie gingen umgehend auf die Forderungen und Konditionen der aus ihrer Wohnung geworfenen Familie ein. Inzwischen sind in Teneriffa sämtliche Zwangsräumungen ausgesetzt.
Zu Beginn dieser Woche teilte der spanische Bankenverband AEB in Madrid mit, dass sich die Geldhäuser aus humanitären Gründen auf ein Moratorium geeinigt haben. Es gilt für zwei Jahre und nur für äußerste Notfälle. Spaniens konservative Regierung unter Ministerpräsident Mariano Rojoy hat Verhandlungen mit der sozialistischen Opposition angekündigt, um im Eilverfahren eine Gesetzesreform zur Regelung von Zwangsräumungen herbeizuführen.
Scharfe Kritik am Verhalten der Banken übte der sozialistische Abgeordnete und ehemalige Arbeitsminister Valeriano Gomez. Die Regierung wolle 60 Milliarden Euro für die Sanierung der Banken ausgeben und tue nichts für die Menschen, die ihre Wohnung verlassen müssten. In der Zeitung „El Pais“ wird gefordert, das eigentlich zur Sanierung der Banken bestimmte Geld den Not leidenden Wohnungsinhabern zu geben, damit sie ihre Wohnungskredite bedienen können. ++ (so/mgn/13.11.12 – 223)