Berlin, 31. August 2013 (ADN). Im Gespräch mit Nichtwählern kommt häufig eine wohl vielen gemeinsame Sehnsucht zur Sprache: der Wunsch nach mehr direkter Demokratie, nach Volksabstimmungen auf Bundesebene. Dahinter steckt die Annahme, dass die Parlamentsvertreter in wichtigen Sachfragen nicht nach ihrem Gewissen, sondern nach machtpolitischer Opportunität entscheiden. Dann soll doch lieber gleich der Souverän selbst übernehmen.“

Mit diesen gewichtigen Schluss-Sätzen markiert ein Beitrag in der jüngsten Ausgabe der Wochenzeitung „der Freitag“ die außergewöhnlich ernste General-Lage in Deutschland und die miserable Ausgangsposition der bundesdeutschen Parteien unmittelbar vor der Bundestagswahl am 22. September. Die deutsche Krise des herkömmlichen Politik-Betriebes hat das Massenphänomen hervorbebracht, nicht zur Wahl zu gehen. Es erreicht immer neue Rekorde. Der jüngste wurde bei der Niedersachsen-Wahl mit 40, 6 Prozent Nichtwählern aufgestellt.

War der Nichtwähler bislang ein unbekanntes Wesen, das sich seines Fernbleibens von der Wahlurne zu schämen hatte, gewinnt er zunehmend an Profil. Inzwischen bekennen sich zu diesem Verhalten zahlreiche Prominente. Zu ihnen gehören Modeschöpfer Karl Lagerfeld, Handelsblatt-Herausgeber Gabor Steingart und Harald Welzer, Direktor der Stiftung Futurzwei. Der Wissenschaftler, der schon die öffentliche Exkommunikation für seine ablehnende Haltung gegenüber den bisherigen Wahlpraktiken befürchtet hatte, sagte gegenüber „der Freitag“: „Dann war ich total überrascht, dass die Resonanz, die bei mir ankam, zu 90 Prozent positiv ausfiel.“

Eine Hauptkritik Welzers an den Parteien besteht darin, für Überzeugungen zu stehen, „die man gar nicht hat.“ Als größtes Ärgernis bezeichnet er es, dass die Parteien elementare Zukunftsfragen ignorieren. Stattdessen würden Nebenschauplätze wie das Ehegattensplitting oder die Quote in Aufsichtsräten eröffnet.
Freitag-Autor Philipp Wurm schreibt: „Unter den Verlierern im neoliberalen Casino gibt es immer mehr Leute, die verzweifelt feststellen, dass Wahlen keine Wirkung erzielen. Stattdessen führen ihnen tägliche Überlebenskämpfe zwischen Hartz IV, Niedriglohnjob und Dispo-Kredit vor Augen, dass beinahe alle Parteikonstellationen der letzten Jahrzehnte das Elend nur vergrößert haben. Ob Rot-Grün, Schwarz-Rot oder Schwarz-Gelb.“ An der wachsenden Kohorte der Nichtwähler trage ausgerechnet die Sozialdemokratische Partei (SPD) am meisten schuld, obwohl deren Selbsterzählung von Stütze der Demokratie bis zurück ins Kaiserreich reicht. Die Sozialdemokraten hätten bei den Bundestagswahlen im Jahr 2009 sagenhafte 2,1 Millionen Wähler ans Lager der Stimmverweigerer verloren. Auf Seiten der Chrstlich Demokratischen Union (CDU) habe dieser Verlust lediglich 1,1 Millionen betragen. ++ (dk/mgn/31.08.13 – 238)

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